EuGH: Rechtsstaatsmechanismus ist rechtens
Niederlage für Ungarn und Polen: Der Europäische Gerichtshof hat ihre Klage gegen den EU-Rechtsstaatsmechanismus abgewiesen. Dieser erlaubt es, die Auszahlung von Mitteln aus dem EU-Haushalt zu kürzen, wenn deren korrekte Verwendung wegen rechtsstaatlicher Mängel nicht garantiert ist. Damit drohen Ungarn und Polen finanzielle Sanktionen. Europas Presse debattiert Sinn und Folgen des Urteils.
Budapest und Warschau allein auf weiter Flur
Das Urteil ist eine klare Ansage, meint der Brüssel-Korrespondent László Arató in Magyar Hang:
„Ungarn und Polen haben diesen Streit verloren. Es ist eine starke Botschaft, dass neben drei großen EU-Institutionen auch die Regierungen von zehn Mitgliedstaaten gegen die beiden Regierungen waren: Die illiberalen Regime sind peinlicherweise alleine geblieben. Diesbezüglich sei auch darauf hingewiesen, dass dies bereits der x-te Rechtsstreit ist, den Ungarn verloren hat. ... Das Ergebnis ist dieses Mal besonders spektakulär: Man könnte kaum besser zum Ausdruck bringen, dass weder die polnische noch die ungarische Regierung recht hat.“
Keine normalen Demokratien
Die Verhängung von Sanktionen dürfte trotz des Urteils schwierig werden, glaubt Helsingin Sanomat:
„Wenn die EU-Mitgliedschaft für diese beiden Länder ein opportunistisches Mittel zur Geldbeschaffung ist, müssen sich die Gegenmaßnahmen auf das Geld konzentrieren. Zwei Dinge machen dies schwierig. Zum einen wird ein etwas zugedrehter Geldhahn die Mittel für Bürger und NGOs in den Mitgliedstaaten kürzen. In einer normalen Demokratie würde dies den Druck auf die Regierung erhöhen, aber Polen und Ungarn sind keine normalen Demokratien. Das zweite Problem: ... Ungarn ist Russland zugeneigt und es wäre nicht verwunderlich, wenn Ungarn – gleichsam als Vergeltung – die Gestaltung einer gemeinsamen EU-Politik noch weiter erschweren würde.“
So schnell wird sich nichts ändern
Die wahre Macht zur Verbesserung liegt woanders, betont Dnevnik:
„Das bisher mächtigste Instrument zum Schutz des europäischen Haushalts sollte von der Europäischen Kommission als technisches Mittel eingesetzt werden. ... Eine rasche Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union ist nicht zu erwarten. Das stärkste Werkzeug und der stärkste Garant für Demokratie bleiben nach wie vor die Wähler, die nicht auf Gerüchte über äußere Feinde und die hässlichen Tanten und Onkel aus Brüssel und Luxemburg hereinfallen. “
Die EU ist kein Bankautomat
Geld aus Brüssel gibt es eben nicht ohne Bedingungen, heißt es bei Contributors:
„Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes war lange erwartet worden und folgt auf eine Reihe von Ereignissen und Versuchen, die Einhaltung des EU-Rechts zu gewährleisten. Mit diesem Urteil werden die Regierungen in Polen und Ungarn, einschließlich der Staatsregierungen, die ihr Verhalten nachahmen, verstehen, dass sie nur zu verlieren haben, wenn sie diesen Weg weitergehen. Ganz gleich, ob die Politiker dieser Länder von ihren Bürgern wiedergewählt werden oder nicht, ist die Botschaft klar: 'Die Europäische Union ist kein Bankautomat.' Die europäischen Gelder werden nicht dorthin fließen, wo es keine Garantie dafür gibt, dass sie so verwendet werden, wie es vorgesehen ist.“
Gemeinsame Regeln wichtig für den Binnenmarkt
Auch Hospodářské noviny lobt das Urteil:
„Die Richter in Luxemburg haben nichts Geringeres getan, als für den Zusammenhalt des EU-Binnenmarktes einzutreten. Der wird auseinanderfallen, wenn die Regeln nicht für alle gleich sind. Da Tschechien auf diesen Markt angewiesen ist - und wir im Allgemeinen unsere Mitgliedschaft in der EU hauptsächlich damit verbinden -, liegt es im tschechischen Interesse, diesen Zusammenhalt zu wahren. Die tschechische Regierung sollte daher die polnische und die ungarische wieder daran erinnern, dass für alle dasselbe Maß gilt.“
Ein Schlag für den Premier
Das Urteil war absolut zu erwarten, meint Gazeta Wyborcza und sieht in dem Umstand, dass Premier Morawiecki etwas anderes behauptet hat, ein Zeichen von dessen Schwäche:
„Und dabei wurde er Premier unter anderem, um die Beziehungen zu Brüssel zu normalisieren. Nach seiner letzten Rede vor dem Europäischen Parlament ist klar, dass die EU genug hat von den Täuschungen, die Morawiecki so erfolgreich auf der innenpolitischen Bühne betreibt. Politisch hat er sich als zu schwach erwiesen, um sein in Straßburg gegebenes Versprechen zu erfüllen, die Disziplinarkammer abzuschaffen. [Der PiS-Vorsitzende] Kaczyński und [Justizminister] Ziobro haben bereits angekündigt, dass sie die polnische Souveränität gegen Brüssel verteidigen werden.“
Die Wirtschaft wird keine Sanktionen abnicken
Sanktionen gegen Ungarn würden auch ausländische Investoren betreffen und sind deshalb eher unwahrscheinlich, meint die regierungsnahe Magyar Nemzet:
„Auch die ausländischen - besonders die deutschen - Unternehmen werden dann in Ungarn mit höheren Investitionen weniger produzieren als bisher, deswegen werden sie Verluste erleiden oder zumindest wird sich ihr Profit erheblich verringern. Finden Sie mal einen deutschen Unternehmer, der dulden würde, dass er aufgrund rein ideologischer Gründe mit einem Einnahmeverlust von 5, 10 oder 40 Prozent rechnen muss!“
Es geht um das Überleben des europäischen Projekts
Trotz der gebotenen Vorsicht muss sich die EU beeilen, diese neue Waffe zum Erhalt der Rechtsstaatlichkeit auch einzusetzen, drängt Le Soir:
„Die Vorsicht der Kommission ist nachvollziehbar: Auch wenn nun rechtlich alles in trockenen Tüchern ist, ist es für Brüssel nicht selbstverständlich, einen guten Monat vor den ungarischen Wahlen gegen Viktor Orbán in den Kampf zu ziehen. Das wäre ein gefundenes Fressen für ihn, der einen politisch motivierten Prozess behauptet und die Wahl gewinnen könnte. ... Aber die Lage ist wirklich ernst, zum Teufel mit solchem Kalkül! Der Niedergang der Demokratie hat begonnen. Wir müssen uns entscheiden und trotz des Risikos einen wichtigen Treffer landen. Es geht um das europäische Projekt, um seine Glaubwürdigkeit und um sein Überleben.“