Mächtiges China: Welche Rolle sollte Europa spielen?
Chinas wachsender Einfluss prägt zunehmend die Weltordnung. Pekings ambivalente Haltung in Bezug auf die russische Invasion in der Ukraine stellt die EU ebenso vor eine Herausforderung wie die Spannungen zwischen den USA und China im Taiwan-Konflikt. Wie sich Europa in der internationalen Politik positionieren sollte, debattiert die Presse.
Tatsächlich ist das Unwahrscheinliche passiert
Die Hoffnung von Putin und Xi, Europa und die USA spalten zu können, ist bislang nicht aufgegangen, erklären in Postimees Osteuropa-Experte Ivan Krastev und der Direktor der Denkfabrik European Council on Foreign Relations, Mark Leonard:
„Wladimir Putin - und vielleicht auch Xi Jinping, der angeblich von Moskaus Plänen wusste - war nicht irrational, als er auf den Zerfall der Einheit der Europäischen Union innerhalb weniger Tage nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine setzte. Angesichts der Erfahrungen mit dem Irak-Krieg, der Euro-Krise und der Flüchtlingskrise gab es einen Präzedenzfall für die Spaltung. ... Während der Krieg für Polen und Estland eine existenzielle Bedrohung darstellte, war er für die Menschen in Portugal und Spanien ein weit entfernter Konflikt. ... Ein Jahr später stellt sich heraus, dass die Erwartungen einer Spaltung falsch waren.“
Russland wäre gern der lachende Dritte
Russland würde profitieren, wenn sich der Westen geschlossen gegen China stellt, meint Radio Kommersant FM:
„Die G7-Treffen unter Japans Präsidentschaft und insbesondere der Hiroshima-Gipfel im Mai sollten die Frage beantworten, wessen Standpunkt sich durchsetzen wird und ob die Europäer bereit sind, sich in die US-japanische Antichina-Agenda einzufügen. So paradox es auf den ersten Blick auch scheinen mag: Für den Kreml wäre es besser, wenn der amerikanisch-japanische Ansatz gewinnen würde. Denn je mehr der kollektive Westen China bekämpft, desto weniger Kräfte, Energie und Ressourcen bleiben ihm für die Konfrontation mit Moskau in der Ukraine, bei den Sanktionen und an vielen anderen Fronten. “
Europa hat eine Mission
Eine eigenständige Rolle Europas fordert La Repubblica:
„Es ist seine Aufgabe, den Dialog mit dem globalen Süden aufzunehmen. Nicht, indem es sich einfach so an den Hof von Peking begibt, sondern indem es eine eigene Form entwickelt und gleichzeitig eine autonome Vision aufstellt. ... Ein Europa mit einer eigenen, präzisen Identität, mit einer autonomen Fähigkeit zum strategischen Dialog und zur Intervention in Krisenszenarien (was ist übrigens aus den feierlichen Verpflichtungen zur europäischen Verteidigung geworden?). Ein Europa, das in einer unauflöslichen strategischen Partnerschaft mit den USA stark ist: als gemeinsame Akteure, die einen gerechten und dauerhaften Frieden schaffen und eine neue Weltordnung errichten.“
Handelspolitik für Asien neu ausrichten
Die EU sollte sich wie die USA von China lossagen und die Handelsbeziehungen im asiatischen Raum diversifizieren, fordert die Ökonomin Mathilde Lemoine in Les Echos:
„Die Europäer haben stattdessen ihre Abhängigkeit von China seit fünf Jahren verstärkt, was eine Schwäche darstellt, die Xi Jinping leicht ausnutzen kann. ... Die 2022 vom Rat angenommene Strategie der EU für die Kooperation im Indo-Pazifik-Raum reicht nicht aus und entbindet nicht von einer EU-Handelspolitik als Achse für Einfluss, Autonomie und Förderung der Unternehmensentwicklung in Asien.“
Der aufstrebende Osten ist ein ökonomischer Zwerg
So schnell muss sich der Westen keine Sorgen um seinen Untergang machen, analysiert der Historiker Iván T. Berend in Népszava:
„In den autokratischen Ländern Mittel- und Osteuropas sind anti-westliche Haltungen und die sogenannte Verwahrlosung und der Niedergang des Westens zum zentralen politischen Thema geworden. Wladimir Putin und Viktor Orbán sprechen fast täglich darüber. ... Was zeigen die Fakten? ... Der 'aufstrebende Osten' - wenn wir die drei größten Mächte China, Indien und Russland zusammenrechnen - erwirtschaftete 2022 ein Pro-Kopf-Einkommen von rund 10.500 US-Dollar. Der 'untergehende Westen' - Westeuropa und die USA zusammen - hingegen 70.400 US-Dollar.“