London und Paris wehren sich gegen Flüchtlinge
Als Reaktion auf die Einreiseversuche tausender Flüchtlinge durch den Eurotunnel nach Großbritannien hat Frankreichs Regierung zusätzliche Polizisten nach Calais beordert. David Cameron kündigte weitere Zäune und Spürhunde auf britischer Seite an. Damit spielt Großbritanniens Premier radikalen Asylgegnern in die Hände, kritisieren einige Kommentatoren. Andere sind der Meinung, dass London die Verantwortung für die Flüchtlinge auf Paris abwälzt.
Cameron spielt Asylgegnern in die Hände
Der britische Premier David Cameron hat am Freitag erklärt, die britische Seite des Eurotunnels mit Zäunen und dem Einsatz von Spürhunden stärker abschirmen zu wollen. Die liberale Stuttgarter Zeitung warnt, dass Cameron mit solchen Ankündigungen radikalen Asylgegnern Steilvorlagen liefert: "Instinktiv sucht man sich auf der Insel abzugrenzen - buchstäblich mit höheren Zäunen, mit mehr Polizei, mit schärferen Gesetzen. Die Boulevardpresse verlangt bereits Armee-Einsätze. Von einer 'Invasion' ist, auch bei Politikern, die Rede. Das mag in keinem Verhältnis zu den Realitäten stehen, weckt aber den Wunsch nach kollektivem Widerstand gegen finstere Gefahren. Ein paar tausend armselige Gestalten verwandeln sich so schnell in eine nationale Bedrohung. Auch Camerons Beschwörung von 'Schwärmen', die einzufallen drohen, schafft keinen kühlen Kopf bei der Begutachtung der Lage. Es spielt nur denen in die Hände, die sich am liebsten ganz einzäunen und absondern würden - und denen weder an europäischer noch an sonstiger Solidarität etwas liegt."
Frankreich mit Flüchtlingen allein gelassen
Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve und seine britische Kollegin Theresa May haben am Sonntag eine Erklärung veröffentlicht, in der sie den Kampf gegen illegale Einwanderung zur gemeinsamen Priorität erklären. Doch in Wahrheit wälzt Großbritannien die Verantwortung auf Frankreich ab, kritisiert die linksliberale Tageszeitung Le Monde: "Unzählige bilaterale Übereinkünfte, von denen einige nie öffentlich wurden, haben dazu geführt, dass die Kontrollen, die eigentlich bei der Ankunft der Flüchtlinge in Großbritannien von den dortigen Beamten vorgenommen werden sollten, in französische Bahnhöfe und Häfen verlagert werden. ... Frankreich ist de facto Garant der britischen Entscheidung geworden, dem Schengener Abkommen nicht beizutreten. Seltsamerweise liegt Calais am Rande dieser europäischen Zone. Und, noch paradoxer: Die französisch-britischen Vereinbarungen entbinden London von den Verpflichtungen, die durch seine Zugehörigkeit zur EU entstehen."
Briten sollten helfen statt sich abzuschotten
Nur eine stärkere Unterstützung jener EU-Länder, die Flüchtlinge zuerst aufnehmen, kann Großbritanniens Problem mit illegalen Zuwanderern langfristig lösen, mahnt die linksliberale Tageszeitung The Independent: "Noch mehr Zäune, Beleuchtungsanlagen und Überwachungskameras sind keine Antwort. Sie werden den gegen die Migranten gerichteten Populismus nur weiter anheizen. Und dabei wird auch nicht berücksichtigt, dass die meisten illegalen Zuwanderer nicht jene sind, die auf LKWs aufspringen, sondern jene, die länger bleiben, als es ihr Visum erlaubt. ... Großbritannien sollte stattdessen mehr tun, um den Staaten an vorderster Front zu helfen. Wenn britische Staatsbeamte entsendet würden, um bei den Aufnahmeverfahren von Ankömmlingen etwa in Griechenland, Italien und Ungarn zu helfen, gäbe es weniger Anreize für diese Länder, Zuwanderern die Weiterreise in den Norden oder Westen zu gestatten."
London und Paris unfähig in Flüchtlingskrise
Die restriktiven Maßnahmen gegen Flüchtlinge am Eurotunnel zeigen nur, wie sehr die EU im Umgang mit der Flüchtlingskrise versagt hat, kritisiert die liberale Tageszeitung Phileleftheros: "Die Stadt Calais hat sich in eine Festung verwandelt: Die Sicherheitsmaßnahmen im Hafen sind strenger geworden und die Kontrollen zur Identifizierung von Einwanderern sind scharf. Die bittere Wahrheit ist, dass London und Paris für die Flüchtlingsproblematik selbst verantwortlich sind. Beide Länder sind nicht in der Lage, mit Einwanderung vernünftig umzugehen, genauso wenig wie die gesamte Europäische Union. Sicher, einfache Lösungen gibt es nicht. Solange sich jedoch die 28 EU-Länder gegenseitig die Verantwortung zuschieben, ihre Hausaufgaben nicht machen und sich weigern, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wird sich das Problem vergrößern. Egal, wie sehr die Polizeipräsenz verstärkt wird, die Menschen werden auch weiterhin auf der Suche nach einem besseren Leben sterben."