Hollande scheitert mit Verfassungsreform
François Hollande hat seine Gesetzesvorlage zum Entzug der Staatsbürgerschaft für Terroristen zurückgezogen. Die auch in den eigenen Reihen umstrittene Verfassungsreform hatte er drei Tage nach den Anschlägen in Paris im November angekündigt. Was bedeutet die Schlappe für den Präsidenten und Frankreichs Politik?
Hollande verspielt Chance auf Wiederwahl
Präsident Hollande ist dem Präsidentenamt nicht gewachsen, meint die liberale Tageszeitung Le Soir mit Blick auf das Scheitern der Verfassungsreform:
„Seine Methode, die darin besteht, Kompromisse zu finden und ständig nach Harmonie zu suchen, ist vielleicht für einen Parteichef die richtige. Seine Kalküle sind jedoch nicht auf der Höhe dessen, was man von einem Staatsmann erwartet. Diese zweifelhafte Maßnahme zu instrumentalisieren, war von Beginn an eine verabscheuungswürdige Idee. Die Beerdigung des Passentzugs für verurteilte Terroristen deutet das Ende von Hollandes Macht an. Kann er nach seinem Legitimitätsverlust noch der selbstverständliche Präsidentschaftskandidat einer zerrissenen Linken sein? In seinem eigenen Lager wird diese Niederlage die 'Jagd auf Hollande' eröffnen und die Befürworter einer Vorwahl stärken.“
Präsident nicht mehr Herr der Lage
Das Scheitern der Verfassungsreform bedeutet das politische Aus für Präsident François Hollande, glaubt die linksliberale Tageszeitung Der Standard:
„Der Autoritätsverlust verstärkt den Eindruck, dass der Präsident nicht mehr Herr der Lage ist. Sein noch laufender Versuch, das französische Arbeitsrecht zu liberalisieren, bekommt zunehmend Schlagseite. Für heute, Donnerstag, rufen die Gewerkschaften zu neuen Protesten dagegen auf. Hollande geht es in dieser Sache ähnlich wie bei der Antiterrorreform: Er bringt die Linke gegen sich auf, ohne die Rechte zu gewinnen. Le Monde überschreibt ihre Donnerstagausgabe mit dem Titel: 'Massive Zurückweisung François Hollandes durch die Linke'. Selbst Parteifreunde raten ihm von einer neuen Kandidatur 2017 ab. Langsam muss man gar fragen, ob er bis dahin durchhalten kann.“
Hollande schafft es nicht, sein Land zu einen
Mit der Verfassungsreform wollte Frankreichs Regierung zeigen, dass sie in der Lage ist, auf den islamistischen Terror zu reagieren, doch das ist misslungen, meint die konservative Tageszeitung Die Welt:
„Der eigentliche Grund für das Scheitern ist nicht die Opposition, sondern die Unausgegorenheit des gesamten Gesetzesprojektes - und der Widerstand, der Hollande aus den eigenen Reihen entgegenschlug. ... Frankreichs Feinde kommen öfter von innen als von außen. Ihnen den Pass abzunehmen, nützt nichts. Danach sind sie immer noch da. Für einen kurzen Moment hatte Hollande nach den Attentaten eine gute Figur gemacht. Ein würdiger Präsident, der die richtigen Worte fand. Doch sein Versprechen, das er den Hinterbliebenen bei der Trauerfeier im Hof des Invalidendoms gab, hat er nicht halten können: Frankreich zu einen im Kampf gegen den Terror.“
Weniger reden, mehr Handeln!
Die Regierung hat kostbare Zeit vergeudet, kritisiert die katholische Tageszeitung La Croix:
„Wäre es nicht besser gewesen, man hätte diese vier Monate, die die Haarspalterei über die Staatsbürgerschaft angedauert hat, für eine sorgfältige und wohlüberlegte Debatte über die Reform des Arbeitsrechts genutzt? Stattdessen wurde der Entwurf des El-Khomri-Gesetzes in einem fundamental beschädigten öffentlichen Diskussionsklima vorgestellt. Die Rücknahme der Verfassungsreform, die infolge der Attentate vom 13. November ausgearbeitet worden war, erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem das Drama in Brüssel deutlich macht, wie groß die terroristische Bedrohung weiterhin ist. Welch krasses Paradox. Alle Akteure tragen einen Teil der Verantwortung. Es ist jetzt höchste Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen: etwas weniger reden und etwas mehr konkretes Handeln!“
Gesamte politische Elite ist gescheitert
Das Scheitern der französischen Verfassungsreform hat nicht nur Präsident Hollande, sondern auch seinen Gegnern geschadet, meint die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung:
„Die eigentliche Hauptfrage, ob mit der Ausbürgerung und der anschliessenden Ausweisung von Terroristen wirklich mehr Sicherheit geschaffen werde, wurde kaum noch gestellt. Die Art, wie die Verfassungsreform behandelt und beendet wurde, ist aber auch ein Scheitern der sogenannten politischen Elite in Paris. Nicht inhaltliche Differenzen haben in erster Linie einen Kompromiss oder die Rettung gewisser Teile der Vorlage verhindert, sondern vielmehr politische Ränkespiele. Hollandes Kritiker und Konkurrenten wollten - ein Jahr vor den Wahlen - dem Präsidenten die Show verderben. Wenn die Politiker sich jetzt in gegenseitigen Schuldzuweisungen ergehen, bieten sie ein übles Schauspiel. Ihr Ansehen in der Bevölkerung kann so nur weiter sinken.“