Irland sagt Yes zum Recht auf Abtreibung
Ein Erdrutschsieg für das Yes-Lager, den so kaum einer erwartet hat: Zwei Drittel der Bürger im einst streng katholischen Irland haben für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts gestimmt. Die Wahlbeteiligung lag mit 64 Prozent noch höher als beim Referendum über die Homoehe. Journalisten kommentieren das Abstimmungsergebnis ganz unterschiedlich und fragen sich, was dieses anderswo auslösen wird.
Endgültige Befreiung vom katholischen Joch
Nach dem Votum für einen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1972 bricht Irland erneut mit der eigenen Geschichte, analysiert Irish Examiner:
„Die Abstimmung damals holte Irland aus dem alles überdeckenden Schatten Großbritanniens. Der laute Schrei nach Veränderung am Freitag führte Irland aus einer anderen Form des Imperialismus - eines Imperialismus, der noch lange nach der Gründung des Staats eine absolute Vormachtstellung genoss und diese allzu oft missbrauchte. ... Das Zwei-Drittel-Votum für die Reform ist umso bemerkenswerter, als dass es die Volksabstimmung von 1983 praktisch genau umkehrt. Damals hatten 67 Prozent für das Abtreibungsverbot in der Verfassung gestimmt. Das zeigt, wie grundlegend die Gesellschaft ihre Beziehung mit dem konservativen, auf moralischen Bedenken aufbauenden Katholizismus geändert hat.“
Schreckliche Folge der Finanzkrise
Entsetzt über die Nachrichten aus Irland ist die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita:
„Zweifellos bedeutet das Ergebnis dieses Referendums eine kulturelle Revolte in Irland, das noch bis vor kurzem für die Verbindung von Tradition und Moderne, von Glaube und wirtschaftlichem Erfolg stand. ... Die Finanzkrise 2009 bedeutete das Ende dieser Idylle, sie zerstörte das Werk von mindestens zwei Generationen von Iren. ... Menschen, die ihre Pflichten erfüllt haben in der Hoffnung auf Sicherheit, fühlen sich betrogen und um ihre Zukunft beraubt. Deswegen entscheiden sie sich für Rechte - sogar die abscheulichsten - in der Hoffnung, ihre Selbstbestimmtheit wiederzuerlangen. Sie verwechseln dabei jedoch die ersehnte Freiheit mit dem Ablehnen jeglicher Verantwortung. So stirbt die traditionelle Gesellschaftsordnung.“
Theresa May unter Druck
Das Yes in Irland wird auch für London Konsequenzen haben, glaubt Der Standard, bleibe doch nun
„in ganz Westeuropa nur noch ein rückständiges Land, was Frauenrechte angeht: der nordirische Teil des Vereinigten Königreichs. Dort befindet sich die katholische Kirche in einer unheiligen Allianz mit protestantischen Fundamentalisten. Und deren politischer Arm, die DUP, hält in London Theresa Mays schwache Regierung an der Macht. Man darf gespannt sein, wie die erklärte Feministin in der Downing Street mit dem jetzt akut gewordenen Konflikt umgehen wird. Bisher redete die britische Elite gern ein wenig herablassend über irische Rückständigkeit, verwies zudem auf die regionale Autonomie. Das erste Argument ist jetzt passé, das zweite dürfte nicht lang standhalten.“
Auch Belgien muss Abtreibung neu regeln
Nachdem die Iren für das Recht auf Abtreibung gestimmt haben, sollte nun auch die Situation in Belgien verbessert werden, fordert De Morgen. Dort erlaubt das Gesetz den Schwangerschaftsabbruch mit abgestuften Fristenregelungen. Allerdings ist eine Abtreibung immer noch ein Straftatbestand:
„Jede fünfte Frau in Belgien hat sich irgendwann einmal für eine Abtreibung entschieden. Wir kennen sie alle. Die Freundin, die Nachbarin, die Nichte oder Tante, die einmal eine Abtreibung hatte, aber öffentlich nie darüber reden wird. Weil am Schwangerschaftsabbruch noch immer das Stigma klebt, dass nur egoistische, promiskuitive oder naive Frauen sich dazu entschließen. ... Doch niemand trifft so eine Entscheidung leichtfertig. Ein anderes Missverständnis ist, dass unser Abtreibungsgesetz von 1990 fortschrittlich genug ist und nicht reformiert werden muss.“