Wieviel Macht bekommen Europas Rechtspopulisten?
Rund fünf Monate vor der Wahl zum EU-Parlament erwarten Beobachter erhebliche Verluste für die großen Parteienfamilien. Für Liberale und Grüne wird ein Erstarken vorausgesehen, besonders geraten Konservative und Sozialdemokraten aber durch rechte bis rechtsextreme Parteien in Bedrängnis. Darüber, wie sehr diese Europas Politik verändern werden, herrscht Uneinigkeit unter den Kommentatoren.
Euroskeptiker bedrohen das Herz der EU
Die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti skizziert mit einer gewissen Sympathie das erwartete Erstarken der Nationalisten und Euroskeptiker:
„Im Establishment herrscht nicht wenig Aufregung, verursacht durch den allgemeinen Popularitätszuwachs der Euroskeptiker in ganz Europa. Neue Ängste befeuerte unlängst der Wahlerfolg von Vox bei den Regionalwahlen in Spanien. Nach Berechnungen des Projekts Europe Elects bekämen die Euroskeptiker gegenwärtig 161 von 705 Sitzen [im künftigen Parlament]. ... Sollten die Pläne zur Vereinigung der Anhänger dieser Strömung aufgehen, könnte diese neue Fraktion sogar zur zweitgrößten werden. ... Theoretisch kann sie sogar den Spitzenplatz erreichen, dafür fehlen ihr nur 17 Mandate. Diese Wahlen könnten das Herz der EU treffen und es verwandeln in den Ort, an dem die zentrifugalen Kräfte die Union auseinanderreißen.“
Wir stehen nicht vor dem Weltuntergang
Es gibt keinen Grund zur Panik, findet hingegen Večernji list angesichts des möglichen starken Abschneidens rechtspopulistischer Parteien bei der Europawahl:
„Sie können ihre Fraktion vergrößern, sie können der regierenden pro-europäischen Mehrheit das Leben schwerer machen, sie können sie dazu bringen, ihre pro-europäischen Positionen und Politiken abzumildern, aber sie werden nicht selbst an die Macht im Europäischen Parlament kommen. Und wenn sie nicht an der Macht sind, sorgt das System dafür, dass das EU-Parlament für sie nur zum Debattierklub wird und nicht zum Entscheidungsmechanismus. ... Hundert Tage vor der Wahl ist es wichtig, zu wissen: nein, diese Europawahl bringt nicht den Weltuntergang oder den Untergang Europas. Und ja: es ist wichtig zu wählen, mehr als je zuvor.“
Keine Chance auf Sieg
Der Traum italienischer Souveränisten von einer Machtübernahme im EU-Parlament wird schwerlich in Erfüllung gehen, urteilt der Politologe Sergio Fabbrini in Il Sole 24 Ore:
„Derzeit gehört die Lega zur Fraktion 'Europa der Nationen und der Freiheit' (37 Mitglieder), während Cinque Stelle zur Fraktion 'Europa der Freiheit und der direkten Demokratie' (45 Mitglieder) gehört. Das macht 82 Parlamentarier von insgesamt 751. Selbst unter Berücksichtigung der souveränistischen Positionen der 'Europäischen Konservativen und Reformer' (75 Mitglieder) wird der souveränistische Ansatz nur von 150 bis 200 Parlamentariern (von 751) vertreten. ... Selbst wenn man davon ausgeht, dass die souveränistischen Parteien in mehreren europäischen Ländern Zulauf bekommen, ist es unrealistisch, dass es ihnen gelingt, die Sozialdemokraten in der Koalition mit der Europäischen Volkspartei zu ersetzen.“