Aus für Siemens-Alstom-Fusion
EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat die Fusion der Bahnsparten von Siemens und Alstom am Mittwoch gestoppt. Die Hersteller von ICE und TGV wollten sich zusammentun, um gegen die Konkurrenz aus China zu bestehen und hatten dabei auch die Regierungen in Paris und Berlin hinter sich. Ist die Entscheidung der Brüsseler Wettbewerbshüter richtig?
EU schützt vor Machtmissbrauch
Brüssel trotzt den Gesetzen des Dschungels, lobt Italiens Ex-Premier Mario Monti in Corriere della Sera:
„Es ist nicht wahr, dass die Kommission die 'starken Mächte' unterstützt oder sich dem 'Gesetz der Stärkeren' beugt. ... Im Gegenteil: Die Kommission und der Gerichtshof schützen, indem sie das Gemeinschaftsrecht geltend machen, alle vor eventuellen Bestrebungen der Stärksten oder Größten, ihre Macht zu missbrauchen - was sicherlich der Fall wäre, wenn die EU verschwinden würde. ... Deutschland und Frankreich werden trotz ihrer etwas angeschlagenen Regierungen von allen als die beiden stärksten Länder Europas betrachtet. Dennoch haben Kommissarin Vestager und die Kommission 'Nein' gesagt. Jetzt komme bitte niemand und erzähle uns in Italien, dass Brüssel sich systematisch den deutschen und französischen Interessen unterwirft.“
Bahnfahrer können dankbar sein
Margrethe Vestager hat eine gute Entscheidung auch zugunsten der Bahnfahrenden gefällt, freut sich der Deutschlandfunk:
„[D]enn ein Zugriese Siemens-Alstom hätte den Bahnkonzernen Preise diktieren können - die sich sicher auch in den Ticketpreisen wiedergefunden hätten. Und die Kommissarin behält die Interessen der kleineren Player auf dem europäischen Zugmarkt im Blick. ... Europa sollte dankbar sein, dass sie sich nicht beirren lässt, obwohl einer der wichtigsten deutschen Manager sie angegriffen hat. Vestager steht damit für Unabhängigkeit. ... Sie als Technokratin zu bezeichnen, weil sie EU-Recht anwendet, ist unfair und heuchlerisch. Lieber eine Technokratin als eine EU-Kommissarin mit einem Ehrenabzeichen, auf dem steht: 'Siemensmitarbeiterin des Monats'.“
Asien beherrscht den europäischen Markt
Für Anna Słojewska, Brüssel-Korrespondentin von Rzeczpospolita, tut sich die EU mit einer Verhinderung der Fusion keinen Gefallen:
„Siemens und Alstom sind anerkannte Hersteller, und ich persönlich fürchte ihre Fusion weniger als den Wettbewerb durch Dumping-Preise, der mehr und mehr unseren Markt betritt. Große asiatische Hersteller können ohne Weiteres in den europäischen Markt eintreten. Sie können die Kunden mit Angeboten locken oder lokale Unternehmen übernehmen. Das tun sie ganz unabhängig von der Entscheidung der Europäischen Kommission.“
Auf dem Weg in die Brüsseler Planwirtschaft
Die EU hat sich in unzulässigerweise in den freien Wettbewerb eingemischt, schimpft Jornal de Negócios:
„Die EU ist einer der größten Kritiker der Protektionismuswelle aus Washington und hatte sich bisher fest hinter die liberale Globalisierung gestellt. Doch die deutsch-französische Achse hat nun wohl aus Pragmatismus nachgegeben: Die Ablehnung der Fusion hat in Berlin und Paris nur deshalb nicht für Unmut gesorgt, weil sie erwartet wurde. ... Damit bricht Merkel auch radikal mit ihrem bisherigen 'laissez faire, laissez passer' - was zeigt, dass die Bundeskanzlerin eine Karte ist, die bald aus dem Stapel fallen wird. ... Die Zukunft scheint in einer zentralen Planwirtschaft und der Rückkehr zu staatlichem Interventionismus zu liegen. “
Gegen die Politisierung des Kartellrechts
Dass die EU den Zusammenschluss wohl untersagt, findet die Süddeutsche Zeitung völlig richtig:
„In der Sache konnten (oder wollten) beide Konzerne die Bedenken der EU-Kommission nicht entkräften. Dass Brüssel richtig liegt, bestätigen fast alle nationalen Wettbewerbsbehörden. Die Chefs von Siemens und Alstom sahen sich trotzdem im Recht. Ihre Ignoranz und Arroganz gegenüber Brüssel ist nur damit zu erklären, dass sie den deutschen und französischen Wirtschaftsminister als Verbündete hatten. Doch die versuchte Politisierung des EU-Kartellrechts darf die Brüsseler Behörde nicht zulassen. Es würde ihre Glaubwürdigkeit schwächen, gäbe sie dem Druck großer Mitgliedstaaten nach.“
So kann die EU nicht gegen China bestehen
Die Tageszeitung Die Presse hält die Entscheidung der EU-Wettbewerbshüter dagegen für verfehlt:
„Ein Verbot der Fusion von Siemens und Alstom wäre definitiv schlüssig, wenn die Kommission zugleich garantieren könnte, dass sie die europäischen Unternehmen, die von ihr am Wachstum gehindert werden, auch in der Zukunft vor der Übermacht chinesischer Staatsunternehmen schützen wird. Das kann sie allerdings nicht - denn die Volksrepublik zieht alle Register, um ihren Firmen einen Startvorteil zu verschaffen. ... Vestager und Co. treten im Herbst ab - und die neuen Pfleger der europäischen Wettbewerbslandschaft werden die folgende Frage beantworten müssen: Welchen Sinn machen akkurat gestutzte Hecken, wenn Schlingpflanzen über den Gartenzaun wuchern?“
Verspielt Vestager ihre Karriere?
Ein heikler Beschluss, den Wettbewerbskommissarin Vestager da trifft, beobachtet Le Monde:
„Die Entscheidung stellt einen der größten Tests für die EU-Kommission dar, seitdem sie 1990 die Macht erhalten hat, über Firmenzusammenschlüsse zu entscheiden. Gleichzeitig ist es eine persönliche Herausforderung für Margrethe Vestager, die in Europa durch ihre Entschlossenheit im Kampf gegen übermäßige Steueroptimierung sowie durch ihre Siege gegen die IT-Giganten Apple und Facebook einen ausgezeichneten Ruf errungen hat. Lässt sie das Fusionsprojekt von Alstom und Siemens scheitern, verdirbt sie es sich mit Paris und Berlin, zwei unerlässlichen Unterstützern, um Jean-Claude Juncker zum Ende des Jahres an der Spitze der EU-Kommission abzulösen.“