Gefährdet Estland sein eigenes Rentensystem?
Das Parlament in Tallinn wird am heutigen Mittwoch voraussichtlich einer Rentenreform zustimmen: Die sogenannte zweite Säule, die private Rücklage für die Rente, soll künftig freiwillig sein. Bisher mussten Arbeitnehmer zwei Prozent ihres Gehalts auf Sparkonten einzahlen, der Staat gab vier Prozent dazu. Auch bereits gespartes Geld soll nun abgehoben werden dürfen. Estlands Presse ist voller Kritik.
Falsches Freiheitsversprechen
Eesti Ekspress sieht das Vorhaben sehr kritisch:
„Um diese Reform wird sehr viel Wortschaum geschlagen, das hohlste dabei ist der Refrain: 'Wir geben den Bürgern die Kontrolle über ihr Geld zurück, die Freiheit der Bürger wird größer. ... Wir nehmen vom gierigen und mächtigen Staat und geben dem freien Bürger!' Eigentlich ist die Sache genau umgekehrt. Die Reform bedeutet, dass die Rolle und Verantwortung des Staats für die Altersvorsorge wächst. Wenn bei insgesamt immer weniger Steuerzahlern eine immer größere Zahl von Rentnern keine Ersparnisse hat, werden diese allein vom Staat gefüttert. Die Abhängigkeit vom Staat wird total.“
Fonds könnten implodieren
Õhtuleht warnt vor einem Dominoeffekt:
„Man hat kaum darüber gesprochen, wie die Interessen derer geschützt werden sollen, die ihre zweite Rentensäule behalten wollen. Vereinfacht gefragt: Wird es eine Bankenflucht geben oder nicht? In turbulenten Zeiten haben Leute immer versucht, ihr Erspartes zu retten, massiv Geld aus dem Bankensystem herausgezogen und dieses damit zum Zusammenbruch gebracht. Wenn nun schlagartig Geld aus der zweiten Rentensäule herausgenommen wird, was machen dann die Rentenfonds? Um Geld für die Auszahlungen freizubekommen, müssen sie ihre Anlagen schnell verkaufen, was den Wert ihrer Anteile senkt. ... Die Angst um die Rentenersparnisse könnte auch Menschen bewegen, ihr Geld aus der zweiten Säule zu nehmen, die es eigentlich gar nicht vorhatten.“