Frankreich: Bericht zu Missbrauch in der Kirche
Etwa 330.000 Kinder sind in den vergangenen 70 Jahren Opfer sexualisierter Gewalt in Frankreichs katholischer Kirche geworden. Das ist das Ergebnis einer unabhängigen Untersuchungskommission nach zweieinhalb Jahren Arbeit. Welche Veränderungen aus der Erschütterung folgen müssen, diskutieren Europas Medien.
It's a man's world
Männerbünden wohnt immer sexualisierte Gewalt inne, analysiert Público:
„Die Kirche entwickelt sich zu einem Zirkus der sexuellen Gewalt. Denn die sexuelle Gewalt ist der Höhepunkt des patriarchalischen Status Quo, und die Amtsträger der Kirche sind nun einmal eine exklusive Gruppe von Männern, die sich sogar als Teil einer heiligen Mission verstehen (die Idee der Herrlichkeit und der Narzissmus werden nicht nur von Männern aus der Politik gespeist, sondern auch von Männern des Glaubens). Es ist unmöglich, dass eine exklusive Gruppe von Männern nicht wohlwollend oder sogar fördernd mit sexueller Gewalt umgeht. Die Ausübung von sexueller Gewalt ist die letzte Bastion der patriarchalischen Macht: Die Männer können alles, sogar in Körper von Dritten eindringen.“
Tschernobyl des römischen Katholizismus
Ohne drastische Neuerungen droht der katholischen Kirche eine Katastrophe, mahnt Gino Hoel, Autor der progressiven katholischen Zeitschrift Golias, in einem Gastbeitrag in Slate:
„In jeder anderen Institution würde die Leitung nach solch einem Bericht ihren Rücktritt erklären. Diesen Weg schlagen wir nicht ein und das verstärkt bei vielen Opfern das Gefühl von Straf- und Verantwortungslosigkeit seitens des Klerus. ... Man kann sich allerdings vorstellen, dass weitere Berichte in anderen Ländern folgen werden. Daher muss die Kirche sich dringend tiefgreifend reformieren, wenn sie nicht von Angriffen diverser Art, die immer mehr einem Tschernobyl des römischen Katholizismus gleichkommen, vernichtet werden will.“
Kein Fehltritt, sondern ein Irrweg
Nur ein echter Sühneprozess kann die Glaubwürdigkeit wiederherstellen, mahnt die der katholischen Kirche nahestehende Zeitung Avvenire:
„Es geht nicht darum, wie man um Vergebung bittet, sondern darum, wie man sühnt. ... Die erschreckenden Zahlen des Dossiers über 70 Jahre Missbrauch in der französischen Kirche sprechen nicht von einer Kirche, die vom Weg abgekommen ist, sondern von einer, die den falschen Weg eingeschlagen hat. Die Glaubwürdigkeit unseres Sühneprozesses erfordert einen entschieden neuen Ansatz, der falschen Berufungen den Weg versperren kann und einen Integritätsnachweis der Persönlichkeit verlangen muss.“
'Mea culpa' reicht nicht
Die Kirche in Frankreich muss jetzt entschieden mit Reformen und Aufarbeitung reagieren, meint The Irish Times:
„Die Herausforderung, vor der die französische Kirche nun steht, ist über die demütigen 'Mea culpas' der letzten zwei Tage hinauszugehen. Die von der Kommission empfohlenen Entschädigungszahlungen sollten allen identifizierbaren Opfern zustehen, auch wenn die Verjährungsfrist für bestimmte Straftaten abgelaufen ist. Und intern muss die Kirche eine rigorose Kontrolle bei der Rekrutierung von Personal, das mit Kindern arbeitet oder mit ihnen Kontakt hat, einführen. Priester sollten ein Kinderschutztraining absolvieren müssen. Außerdem ist eine Pflicht zur Berichterstattung unerlässlich, egal ob sie dem kanonischen Recht entspricht oder nicht.“
Rolle der Sexualität auf dem Prüfstand
Dass man zu den Ursachen nicht nur innerhalb der Kirche reflektieren sollte, gibt Le Figaro zu bedenken:
„Schon seit mehreren Jahren denkt die Kirche über Reformen nach, um wieder zu dem zu werden, was Papst Franziskus ein 'sicheres Haus' genannt hat. Die Arbeit der Sauvé-Kommission wird ihr dabei helfen. Es gibt viel zu tun und die Aufarbeitung bezieht sich nicht nur auf vorschnell eingebrachte Schlagworte wie Klerikalismus und Priesterehe. Denn die psychische Instabilität der Schuldigen muss natürlich vor dem Hintergrund der Kirche und ihrer Funktionsweise beleuchtet werden, aber auch vor dem Hintergrund unserer Gesellschaft und der Rolle, die die Sexualität mit ihrer dunklen Seite, der Pornografie, darin eingenommen hat.“
Polnische Kirche sollte sich ein Beispiel nehmen
Gazeta Wyborcza meint:
„In Polen können wir von einem Bericht nach französischem Vorbild nur träumen. Ein guter, aber einsamer Schritt war die Einsetzung einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung der Missstände bei den polnischen Dominikanern. Nachdem der Orden jahrelang einen Manipulierer und Vergewaltiger versteckt hatte, beschloss er schließlich, reinen Tisch zu machen und bat den Publizisten Tomasz Terlikowski um Hilfe, der ein Team von Spezialisten zusammenstellte. ... Der fast 300-seitige Bericht beschreibt umfassend Misshandlungen und Vernachlässigungen. ... Das war ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass auch wir in Polen, wenn wir nur wollen, mit solchen Fällen umgehen können. Das Problem ist, dass den Amtsträgern der polnischen Kirche der Wille fehlt.“