Großbritannien wählt
Die Briten wählen am heutigen Donnerstag ein neues Parlament und bestimmen damit auch ihre Regierung. Premier David Cameron hat seine sichere Wiederwahl durch einen unklugen Wahlkampf verspielt, meinen einige Kommentatoren. Andere machen die EU-kritische Partei Ukip für die drohenden Stimmverluste der Konservativen verantwortlich.
Cameron setzt auf Angst statt Optimismus
Cameron konnte sich im Wahlkampf nicht auf seine Erfolge berufen und zog es deshalb vor, den Briten Angst zu machen, analysiert der britische Schriftsteller Robert Harris in der linksliberalen Tageszeitung La Repubblica: "Was ist aus dem coolen England von Tony Blair, der Trendy-Nation, der wohlhabenden und optimistischen Gesellschaft der 1990er Jahre geworden? Sie ist, wie der Großteil des Westens, von der großen Rezession von 2008 überrollt worden. Nach fünf Jahren Sparkurs haben wir die Zuversicht verloren. ... Die konservative Regierung hätte eine Wahlkampagne machen müssen, in denen sie ihre Erfolge hervorhebt. Stattdessen hat sie nur Furcht verbreitet vor dem, was geschehen würde, wenn Labour wieder an die Macht käme. Der Grund dafür ist, dass der Durchschnittsbürger nichts vom Aufschwung gespürt hat. Der Mehrheit geht es vielleicht nicht schlechter als vor fünf Jahren, aber auch nicht besser."
Schwäche der Konservativen ist Schuld von Ukip
Selbst wenn die euroskeptische Ukip nach den britischen Parlamentswahlen keine große Parlamentsfraktion bilden wird, hat sie dem konservativen Lager schwer geschadet, analysiert Ned Simons auf dem linksliberalen Onlineportal El Huffington Post: "Trotz des steilen Aufstiegs spricht viel dafür, dass Ukip nur wenige Parlamentssitze erlangen wird. Den wahren Schaden aber, den Ukip den Konservativen zugefügt hat, ist die Aufspaltung der Mitte-Rechts-Wählerschaft in unbedeutende Lager, was es den Kandidaten von Liberalen und Labour erlaubte, weiter in die Mitte zu rücken. Ein großer Teil von Camerons Anstrengungen im Wahlkampf und seiner Regierungstätigkeit zielten darauf ab, Ukip-Wähler zurückzugewinnen, die mit dem liberaleren Kurs der Konservativen - zum Beispiel mit der Legalisierung der Homoehe - nicht einverstanden waren."
Soziale Kälte hilft Labour
Der scheidende Premier hat zwar wirtschaftliche Erfolge vorzuweisen, gleichzeitig ist die soziale Ungleichheit gewachsen, analysiert die linksliberale Tageszeitung Libération. Ihrer Ansicht nach könnte das der Labourpartei zugutekommen: "Cameron hat es geschafft, das Wirtschaftswachstum in Großbritannien anzukurbeln und die Arbeitslosigkeit proportional dazu zu senken. Ihm ist es aber auch gelungen, sein Land härter zu machen und Ungleichheiten zu verstärken. Seine konservative Linie nahm sich vor allem der Superreichen an. ... Der Linken ist aufgefallen, dass die sinkende Arbeitslosigkeit einen Rückgang der sozialen Gerechtigkeit zur Folge hat. Ed Miliband hat daraus Argumente für seinen Wahlkampf gezogen und die Wähler damit erreicht. Die Wiederwahl der Konservativen gestaltet sich aus diesem Grund viel schwieriger als erwartet."
Liberaldemokraten sind Mädchen für alles
Wenn es nach der Parlamentswahl keinen klaren Sieger gibt, wäre es für Großbritannien das Beste, wenn die Liberaldemokraten wieder als Juniorpartner in die Regierung einziehen, meint Kolumnist David Aaronovitch in der konservativen Tageszeitung The Times: "Ich denke, dass eine Regierungsbeteiligung der Liberaldemokraten die Tories bei neuen Steuern und Einsparungen sowie Labours Populismus bei neuen Ausgaben mäßigen würde. Die Liberaldemokraten würden für die EU und die Mitgliedschaft in dieser eintreten und gegen jede Maßnahme argumentieren, die schottische Wähler vor den Kopf stoßen würde. Zudem wären sie zeitweise die einzigen, die unpopuläre Wahrheiten beim Thema Zuwanderung aussprechen. Sie würden für eine große Verfassungsreform kämpfen, die kommen muss, für die sich die Öffentlichkeit aber nie interessiert und die die beiden anderen Parteien aus Eigeninteresse stets sabotieren möchten."