Umstrittener Eingriff ins embryonale Erbgut
Großbritannien erlaubt erstmals Genmanipulationen an menschlichen Embryos zu Forschungszwecken. Der Antrag einer Londoner Genetikerin wurde am Montag von der Kontrollbehörde genehmigt. Für einige Kommentatoren ist dies ein erster Schritt hin zu Designer-Babys. Andere freuen sich auf einen medizinischen Erkenntnisgewinn.
Folgen für künftige Generationen nicht absehbar
Die Entscheidung der britischen Behörden, Genmanipulationen an menschlichen Embryos zu erlauben, ignoriert diejenigen, die von den Konsequenzen betroffen sein werden, kritisiert die konservative Tageszeitung The Daily Telegraph:
„Eingriffe ins embryonale Erbgut werden das Wohlergehen künftiger Generationen in einer Art und Weise beeinflussen, die wir noch nicht vorhersehen können und die wir auch nicht mehr ändern können, falls die Dinge schief laufen. Doch ist es den künftigen Generationen nicht möglich, diesen Eingriffen zuzustimmen. Im Blick zurück werden unsere Nachkommen unsere Entscheidungen als legitim akzeptieren oder nicht. Sie werden jedoch keine Möglichkeit haben, diese zu ändern. Es mag uns offensichtlich erscheinen, dass sie eine Zukunft frei von genetischen Behinderungen begrüßen würden. Doch selbst wenn es keine unbeabsichtigten und unvorhergesehenen negativen Folgen gibt - was äußerst unwahrscheinlich ist -, würden sie das vielleicht nicht tun.“
Schutz der Gesundheit muss im Vordergrund stehen
Ausschließlich dem Schutz der Gesundheit darf die Genmanipulation an Embryonen dienen, erinnert die konservative Tageszeitung El Mundo und fordert entsprechend klare Gesetze:
„Es ist empirisch bewiesen, dass dieselbe Biotechnologie, die dazu dienen kann, Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer zu lindern, auch zum Klonen von Menschen genutzt werden kann. Aber während der erste Fall zur wissenschaftlichen Evolution beiträgt, verstößt der zweite Fall gegen die grundlegendsten Prinzipien der Ethik. Anders ausgedrückt: Die genetische Selektion ist vertretbar, um Krankheit zu heilen, aber nicht um Wunschbabys zu kreieren. Und eben diesem moralischen Prinzip sollte jede künftige Gesetzgebung unterliegen.“
Gibt es bald Designer-Babys?
Die Genmanipulation menschlicher Embryonen könnte den Weg zu Designer-Babys ebnen, fürchtet die konservative Tageszeitung Lidové noviny:
„Im Hintergrund lauert eine noch grundsätzlichere Frage: Verstehen die Leute, die über die Regeln der Genforschung entscheiden, ausreichend davon? Damit kein Missverständnis entsteht: Dieser Satz soll nicht die Wissenschaftler verunglimpfen. ... Die werden nach bestem Wissen und Gewissen sagen, das Verfahren sei sicher. Ein gentechnischer veränderter Embryo dürfe nie in eine Gebärmutter eingepflanzt werden. Andere aber könnten sagen, was möglich ist, wird früher oder später auch zur Realität. Wenn es möglich ist, gentechnisch Pflanzen zu verändern, dann wird man sie einsetzen, um Afrika vom Hunger zu befreien. Aber so wird es dann auch in der Praxis mit den menschlichen Embryos werden. Hier öffnet sich die Tür für die Konstruktion genetisch manipulierter Kinder.“
Öffentlicher Diskurs hinkt hinterher
Eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema Genmanipulation an menschlichen Embryonen hat Vorrang vor der Freiheit der Forschung, mahnt die linksliberale Süddeutsche Zeitung:
„Denn die Erlaubnis, am menschlichen Erbgut herumzuwerkeln, betrifft nicht nur die Forscher, sie betrifft auch nicht nur die Briten, sie betrifft die Menschheit. Das Genome Editing kann die Zukunft der menschlichen Spezies verändern. Unliebsame Defekte, körperliche und sogar seelische Schwächen ließen sich für immer eliminieren. ... Der erste Schritt in diese Richtung ist nun ohne das Votum der Öffentlichkeit erfolgt. Im Labor ist der Damm gebrochen. Bevor der nächste Schritt erfolgt, heraus aus dem Labor, muss es den überfälligen Dialog mit den Menschen und ihren politischen Vertretern geben. Die Gesellschaft muss das Thema erfassen und sich ihr Urteil bilden können - und dieses Urteil muss gehört und geachtet werden.“
Großer Gewinn für Forschung und Familie
Das Ziel dieser revolutionären Methode ist es vor allem, Menschen zu helfen, urteilt die Pharmakologin Elena Cattaneo in der linksliberale Tageszeitung La Repubblica:
„CRISPR-Cas9 - neun Buchstaben und eine Zahl, die eine Revolution bedeuten. Ziel ist es, zu begreifen, wie die künstliche Befruchtung verbessert werden kann und Erkenntnisse über das früheste Entwicklungsstadium zu gewinnen. Die Erfolgschancen der Befruchtungsmethoden zu erhöhen, könnte für die Frauen, die sich der künstlichen Befruchtung unterziehen, weniger Hormonstimulation, weniger Leiden, weniger enttäuschte Hoffnung bedeuten und generell vielleicht mehr Neugeborene. ... Wem die Geburt von Kindern, die Bildung neuer Familien am Herzen liegt, der sollte diese Forschungen gutheißen. Es ist an der Zeit, denjenigen keinen Glauben mehr zu schenken, die ständig über eine verantwortungslose Wissenschaft schimpfen, der es nur darum gehe, das perfekte Baby herstellen zu wollen.“