Aleppo unter Beschuss
Seit Tagen ist die syrische Stadt Aleppo wieder Zentrum von Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Opposition - trotz der im Februar ausgehandelten Waffenruhe. Bei Bombardements auf Rebellengebiete - unter anderem auf ein Krankenhaus - kamen in den vergangenen Tagen hunderte Menschen ums Leben. Haben die Genfer Verhandlungen nichts gebracht?
Assad will sich unverzichtbar machen
Die politische Zukunft des syrischen Machthabers Baschar al-Assad hängt von der Schlacht um Aleppo ab, erörtert La Repubblica:
„Unterstützt von Moskau und Teheran hat der Machthaber von Damaskus zwar Land zurückgewonnen, doch nicht genug, um unverwundbar zu sein. Die Kontrolle über Aleppo würde ihm Prestige verleihen. Sie würde ihn als unverzichtbare Kraft im Kampf gegen die Terrorgruppen IS und al-Nusra erscheinen lassen. Eine wichtige Anerkennung. Doch die sunnitischen Regime, für die er ein Vertreter der schiitischen Front ist, also des Iran, sind nicht bereit, ihm solche Verdienste anzurechnen. Die Europäer ihrerseits lehnen ihn mit wankelmütiger Unnachgiebigkeit ab. Für den französischen UN-Botschafter [François Delattre] ist Aleppo 'eine Märtyrer-Stadt und das Zentrum des Widerstands' gegen Assad. Weniger kategorisch sehen es die Amerikaner, für die Assad zwar keine Achtung verdient, doch im Notfall nützlich ist.“
USA und Russland müssen in Syrien kooperieren
Ein gemeinsames Vorgehen der beiden Großmächte im syrischen Bürgerkrieg ist realistisch und die einzige Chance auf eine friedliche Lösung, meint die Financial Times:
„Nach derzeitigem Stand der Dinge wäre es für die US-Regierung politisch unmöglich, direkt mit dem Assad-Regime und den Russen zusammenzuarbeiten. Doch wenn Assads Abgang eingefädelt werden kann, könnte es doch noch eine gemeinsame militärische Offensive des Regimes, der Russen, der Kurden und der von den USA geführten Koalition gegen die IS-Milizen geben. Die Russen, so ist jedenfalls zu hoffen, könnten Assad aufgeben, wenn sie dafür jene westliche Anerkennung ihrer Rolle in Syrien erhalten, die sie sich schon so lange wünschen. ... Ohne russisch-amerikanische Kooperation stehen Syrien nur weitere Jahre des Todes und der Tragödie bevor.“
Arabische Staaten sollten sich schämen
Dass die arabischen Staaten nur abwarten und nichts tun, um den Krieg in Syrien zu beenden, macht die ägyptische Tagesszeitung Shorouk wütend:
„Die Angriffe sollen den Rebellen einen empfindlichen Schlag versetzen und das Kräftegleichgewicht verändern. Das wiederum würde die Genfer Gespräche beeinflussen, die unter der Schirmherrschaft der USA und Russland stehen. Aber solange die Amerikaner mit dem Wahlkampf beschäftigt sind, ist das Kräftegleichgewicht zugunsten der Russen beeinträchtigt. Erst im kommenden Frühjahr wird das amerikanische Interesse am Nahen Osten und an den Syrien-Gesprächen wieder zunehmen. ... Das heißt, die Qualen der Syrer werden ebenso fortbestehen wie unser Gefühl von Scham und Schande. Die arabischen Regierungen und ihre Liga sind außerstande, etwas zu bewirken. ... Es ist beschämend, dass wir die internationale Gemeinschaft auffordern ihrer Verantwortung nachzukommen. Denn jeder sollte sich fragen, warum erfüllen die Araber nicht, was sie von anderen fordern?“
Waffenruhe war nicht durchdacht
Nach der neuerlichen Bombardierung Aleppos versuchen die internationalen Unterhändler, eine neue Waffenruhe zu vereinbaren. Warum die bisherige nicht funktionieren konnte, erklärt Der Standard:
„[D]er Defekt steckt in der Konstruktion der Waffenruhe selbst: Sie trat in Kraft, obwohl nicht klar entschieden war, wer nun weiter bekämpft werden darf - sicher der 'Islamische Staat' und die zu Al-Kaida gehörende Nusra-Front - und wer nicht. Es war bekannt, dass Rebellen mit der Nusra-Front teilweise kooperieren. Dabei kommt es auch zu gemeinsam gehaltenen Territorien. Dass das Assad-Regime diese Situation ausnützt und dort weiter ohne jegliche Rücksicht auch Zivilisten bombardiert, steht auf einem anderen Blatt. “
Religiöse Heterogenität bleibt Problem
Eine vollständige Rückeroberung Aleppos durch Regierungstruppen würde Assads Position erheblich stärken, warnt Blogger und Ökonom Andrzej Kraszewski. Doch selbst wenn er Syrien wieder unter seine Kontrolle bringt, heißt das nicht, dass das Land befriedet wird, prophezeit er auf dem Onlineportal NaTemat:
„Der Konflikt wird auch dann nicht zu Ende sein, wenn das Assad-Regime wieder die vollständige Kontrolle über das Land übernehmen sollte. Auch wenn viele Politikwissenschaftler das so behaupten. Er wird auch dann nicht beendet sein, wenn der 'IS' aus Syrien wieder verschwunden sein sollte. Diese Auseinandersetzungen werden anhalten, weil die syrische Gesellschaft so gespalten ist, dass es Jahre brauchen wird, diese Teilungen zu überwinden. ... Syrien ist ein religiöser Schmelztiegel. Dazu gehören Sunniten, Schiiten, Drusen, Alawiten sowie noch drei unterschiedliche christliche Glaubensbekenntnisse.“