Bringen Genfer Verhandlungen Frieden für Syrien?
Für die Syrien-Friedensgespräche in Genf ist noch immer keine Einigung in Sicht. Einen Vorschlag der Uno für eine Übergangsregierung unter Beibehaltung Assads als Staatschef lehnten Oppositionsvertreter am Wochenende ab. Gibt es dennoch Hoffnungen auf einen positiven Ausgang der Gespräche?
De Mistura im Dilemma
In einer echten Zwickmühle sieht der Standard die Vermittler in Genf:
„Staffan de Mistura, der Uno-Vermittler für Syrien, kann es momentan eigentlich nur falsch machen. In Genf, wo die indirekten Gespräche zwischen dem syrischen Regime und (einem Teil) der Opposition fortgesetzt werden, kann er die 'roten Linien', mit denen beide Verhandlungsseiten kommen, respektieren - und wird nicht weiterkommen. Oder er versucht, diese Linien auszutesten - und riskiert einen Zusammenbruch der Gespräche. ... Was dabei fast untergeht, ist, dass in Nordsyrien zuletzt der 'Islamische Staat' wieder massiv gewinnt. Hoffentlich reicht das, um die Verhandler in Genf zu halten.“
Friedensplan scheitert an Assad
Aufgrund der weiterhin unbeugsamen Haltung des Assad-Regimes rückt die Einhaltung des im Dezember vom UN-Sicherheitsrat verabschiedeten Friedensplans in immer weitere Ferne, zeigt sich die linksliberale Tageszeitung Libération pessimistisch:
„Dieser Plan hat unter den derzeitigen Bedingungen keine Chance, umgesetzt zu werden. Die Delegation des Hohen Verhandlungskomitees, das die wichtigsten Gegner des syrischen Regimes repräsentiert, lehnt eine Einbindung Baschar al-Assads in die Übergangsregierung ab. Damaskus sieht das anders, denn das Schicksal des syrischen Präsidenten wird als 'eine rote Linie' betrachtet. Am Donnerstag, einen Tag vor dem Eintreffen der Vertreter des Regimes in Genf, haben seine Truppen eine Offensive gestartet, um zu versuchen, die Rebellen daran zu hindern, nach Aleppo, die große Stadt im Norden, vorzudringen. Der Waffenstillstand, der am 27. Februar in Kraft getreten ist und mehrfach verletzt wurde, steht nun vor dem Scheitern.“
Letzte Chance zur Beendigung des Kriegs
Die internationale Gemeinschaft muss alles dafür tun, dass die Waffenruhe in Syrien eingehalten und Friedensverhandlungen wieder aufgenommen werden, appelliert der Koordinator des Hohen Verhandlungskomitees, Riad Hidschab, in der linksliberalen Tageszeitung Le Monde:
„Die internationalen Partner müssen unbedingt die Einhaltung der Waffenruhe sicherstellen und im Fall, dass sie durch das Regime von Baschar al-Assad gebrochen wird, alle Konsequenzen ziehen. Wir bleiben überzeugt, dass die demokratische Transition die beste Lösung ist, um das Grauen dieses Kriegs zu beenden, der die Syrer tötet oder sie aus dem Land vertreibt. Es ist das Interesse aller Nationen, vor allem der Vereinigten Staaten und Europas, ihr gesamtes Gewicht geltend zu machen, damit die Gewalt endet und die Verhandlungen wie vorgesehen fortgesetzt werden können. Diese Chance muss jetzt ergriffen werden. Danach wird es zu spät sein und das Chaos, dessen Folgen für uns nicht einzuschätzen sind, wird endgültig Oberhand gewinnen.“
Kleiner Hoffnungsschimmer
Mit der fast einwöchigen Feuerpause hat sich ein kleines Fenster der Hoffnung geöffnet, lobt die linksliberale Tageszeitung Delo:
„Die Tatsache lässt hoffen, dass es den USA und Russland gelungen ist, den syrischen Weltkrieg, an dem mehr als 70 Staaten beteiligt sind, zumindest 'einzufrieren'. Trotz der großen Menge an politischem Opportunismus besteht die Hoffnung, dass mit einer robusten diplomatischen Aktion und standhaftem Druck auf die Schlüsselfiguren des Konflikts tatsächlich etwas bewegt werden kann. ... Jetzt ist es höchste Zeit, dass die internationale Gemeinschaft, Synonym für Impotenz und Schuld, kompromisslose Friedensverhandlungen unter der gemeinsamen Leitung Washingtons, Moskaus und der Vereinten Nationen beginnt.“
Kurdenfrage entzweit USA und Türkei
Im Syrienkrieg offenbart sich ein ernsthafter Bruch zwischen den Nato-Partnern USA und Türkei, meint die Wochenzeitung der armenischen Minderheit Agos: "Wir sehen, dass Ankara und Washington dort gegensätzliche Mächte unterstützten: Während die Türkei gegen kurdische Guerillas kämpfte, lieferte die USA ihnen Waffen und unterstützte sie diese durch Luftschläge. Indem Ankara gegen die kurdischen Guerillas kämpfte und sich dafür entschied, dschihadistische Elemente unter den syrischen Rebellen zu unterstützen, hat es einen strategischen Fehler begangen und die syrische Opposition sowie ihr Recht, in der internationalen Politik mitzusprechen, marginalisiert. Heute sind die USA weder enthusiastisch, Syrien wirklich anzugreifen, noch haben sie vertrauenswürdige Verbündete."
Moskau behält die Oberhand
Russland hat in Syrien alle Trümpfe in der Hand, analysiert die konservative Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung:
„Moskau kann sich eine kleine Feuerpause in Syrien leisten. Mit den Vereinigten Staaten agiert Russland endlich auf Augenhöhe, gemeinsam wurde der Waffenstillstand ausgehandelt. Durch Tausende Einsätze seiner Luftwaffe hat Moskau die Position des Assad-Regimes deutlich gestärkt und den Einfluss des Widerstands entscheidend geschwächt. ... Russland hat die Initiative in Syrien übernommen, und niemand kann sie ihm derzeit streitig machen. Es wird alles dafür tun, dass das so bleibt, und dass am Ende kein Weg an Assad vorbeiführt. Das ist die Folge davon, dass der Westen zu lange in Syrien zugeschaut hat, statt zu handeln.“
Das Märchen von der Waffenruhe
An eine Waffenruhe in Syrien zu glauben, hält die Tageszeitung 24 Chasa für illusorisch:
„Die simple und ehrliche Wahrheit über die geplante Waffenruhe ist, dass niemand auch nur im Geringsten glaubt, dass sie funktionieren wird. Sie ist ein reines Märchen für Erwachsene, eine Phantasie, eine Illusion, weil sie ohne die al-Nusra-Front, den Islamischen Staat und die dazu gehörigen Terrorgruppen beschlossen wurde. … Sagen wir, dass einige [oppositionelle] Gruppierungen aus gutem Willen die Waffen niederlegen und die Waffenruhe einhalten. Sobald die syrische Regierung entscheidet, sie unter Beschuss zu nehmen, weil sie sie als Terroristen betrachtet, werden sie wohl kaum mit verschlossenen Armen dastehen. … Waffenruhe hin oder her: Sobald einer anfängt zu schießen, wird aus den gegenüberliegenden Schützengräben eine Antwort kommen und es wird keine Rolle mehr spielen, wer zuerst angefangen hat.“
Dauerhafter Frieden nur mit Föderalismus
Ein dauerhafter Frieden in Syrien hängt davon ab, wie die anderen Akteure im Nahen Osten auf die Waffenruhe reagieren werden und welches Staatsmodell im kriegsversehrten Land etabliert wird, meint der Kommentator Botond Feledy in der ungarischsprachigen Tageszeitung Új Szó:
„Die Hauptfrage ist, wie die regionalen Mächte - die Türkei, Saudi-Arabien und dessen Verbündete am Golf - reagieren werden. Werden sie den Stellvertreterkrieg fortsetzen oder werden sie die Geldhähne zudrehen und die Waffenlieferungen nach Syrien stoppen? ... Dies dürfte aber wohl erst dann möglich sein, wenn Syrien zu einer Föderation umgestaltet würde, ähnlich wie im Libanon. Ein solcher Föderalismus würde nämlich garantieren, dass keine der unterschiedlichen Glaubensrichtungen in Syrien ein Übergewicht hätte und das empfindliche Gleichgewicht im Nahen Osten bestehen bliebe. Mit anderen Worten: Wenn sich weder das schiitische Iran noch das sunnitische Saudi-Arabien vor den Kopf gestoßen fühlen würde.“
Jede Chance auf Frieden nutzen
Die anvisierte Waffenruhe in Syrien gilt nicht für alle Konfliktparteien, ausgenommen sind radikale Islamisten. Auch wenn dies die Bedeutung der Feuerpause schmälert, bleibt sie unglaublich wichtig, meint die finnische liberale Tageszeitung Keskisuomalainen:
„Es ist natürlich keine echte Waffenruhe, wenn in einem wirren Bürgerkrieg jede Partei getrennt erklärt, für wen die Waffenruhe nicht gilt. Dennoch ist die Ankündigung ein Zeichen dafür, dass sich etwas bewegt. … Möglicherweise ist die Waffenruhe für die Konfliktparteien nur eine Atempause, um ihre Stellungen zu stärken. Aber die humanitäre Krise in Syrien ist so ernst, dass jeder Schritt in Richtung Frieden willkommen ist, wenn dadurch das schlimmste Leid derjenigen gemildert werden kann, die vom Krieg überrollt wurden.“
Europas Tatenlosigkeit spielt IS in die Hände
Dass jegliche Strategie im Umgang mit der IS-Terrormiliz fehlt, kritisiert der Zukunftsforscher Jonathan Piron im Wochenmagazin Le Vif/L'Express:
„Die Angriffe des syrischen Regimes und Russlands setzen der nicht-islamistischen Opposition in Syrien zu. Diese Tragödie, der Europa tatenlos zusieht, trägt ebenso zur Stärkung des Islamischen Staats bei wie die Unfähigkeit, eine umfassende Lösung für die Konflikte im Irak und Syrien zu erarbeiten. … Es ist daher verblüffend, dass noch keine Alternative für die Zeit nach dem IS, die sowohl Irak als auch Syrien umfasst, Gegenstand einer echten Debatte geworden ist - weder hier in Europa noch vor Ort. Auch die Angst, die sich bei uns ausbreitet und von rassistischen und populistischen Bewegungen instrumentalisiert wird, trägt zur Stärkung der terroristischen Dynamik bei. Der Zerfall Europas angesichts der Krise, die durch die syrischen Flüchtlinge ausgelöst wurde, und der Rückzug in den Sicherheits- und Identitätswahn ist die schlechteste aller Lösungen.“
Alles hängt von Moskau ab
Über den Erfolg der ausgehandelten Waffenruhe für Syrien entscheidet alleine Moskau, glaubt die linksliberale Tageszeitung Der Standard:
„Die 'Einstellung der Feindseligkeiten' - also kein Waffenstillstand - ist provisorisch, gilt nicht überall, und auch nicht alle, die sich vorher dazu bekennen, werden sich daran halten. Die Abmachungen sind vage, Umsetzungsmechanismen fehlen beinahe völlig, das Verhältnis der Sponsoren des Plans, USA und Russland, ist prekär. Und dennoch ist diese(r Versuch einer) Waffenruhe bedeutend: Das Mantra, dass es für Syrien keine militärische Lösung gebe, mündet in konkrete Schritte am Boden. Die allerorten bekundete Skepsis ist angebracht. Russland scheint optimistischer als die USA zu sein - und diese wiederum optimistischer als ihre europäischen Partner. Alles hängt von der russischen Bereitschaft ab, in ein paar Tagen den Luftkampf in Assads Namen gegen die Rebellen einzustellen.“
Waffenruhe ist illusorisch
Die USA haben sich nie wirklich für diesen Krieg interessiert und damit dazu beigetragen, dass eine Waffenruhe jetzt so gut wie unmöglich ist, meint die liberale Tageszeitung Sme:
„2013 bagatellisierte US-Präsident Barack Obama den Konflikt in Syrien als den 'Krieg der anderen' und versprach, dass die USA dort militärisch nicht eingreifen würden. Er sagte das, nachdem das Assad-Regime mehr als tausend eigene Bürger, darunter Kinder, mit dem chemischen Kampfstoff Sarin umgebracht hatte. Vorher noch hatte Obama behauptet, dass mit einem solchen Verbrechen für Amerika eine 'rote Linie' überschritten wäre. ... Die Waffenruhe, die am Samstag in Kraft treten soll, wird schon jetzt von der Türkei in Zweifel gezogen, die die syrischen Kurden weiter bombardieren will. ... Das Leid Syriens erinnert uns daran, was passiert, wenn man den 'Krieg der anderen' ignoriert. Wenn man gemeinsam in einem brennenden Haus lebt, ist es die Sache aller, den Brand zu löschen.“
Großmächte oktroyieren Feuerpause
Dass die Verhandlungen über eine Waffenruhe in Syrien nur zwischen Obama und Putin stattfanden, kritisiert die linke Tageszeitung Duma:
„Betrachtet man die Art und Weise, in der sich die Großmächte zur schwierigen Entscheidung durchgerungen haben, dem absolut sinnlosen und überflüssigen Krieg in Syrien ein Ende zu setzen, kommen Erinnerungen an Vietnam auf. Die Agenturen meldeten, dass Barack Obama und Wladimir Putin übereingekommen sind, den Kriegsparteien in Syrien eine vorläufige Waffenruhe aufzuerlegen. Der Rest des Westens, die Staaten des arabischen Raums und die internationale Gemeinschaft wurden nicht befragt. Ihre Stimmen klangen hier und da durch, aber sehr leise und zurückhaltend. Sie wussten schon, dass ihre Meinung nicht gefragt ist. Das vermeintlich offene Ohr der USA blieb wie so häufig taub.“
Nur schwacher Hoffnungsschimmer für Syrien
Die anvisierte Waffenruhe in Syrien birgt immerhin einen Funken Hoffnung, wirft aber auch Fragen auf, analysiert die liberale Tageszeitung Karjalainen:
„Die Tatsache, dass Russland diesmal an dem Plan beteiligt ist, ist natürlich ein entscheidender Faktor. Signale der Hoffnung wollte auch Präsident Bashar al-Assad direkt nach der Waffenstillstandsmitteilung mit der Ankündigung neuer Wahlen aussenden. … Das größte Problem für eine Beendigung des Krieges ist jedoch der IS, gegen den niemand den Kampf aufgeben möchte. Wie soll man eine Waffenruhe umsetzen, wenn der Krieg gleichzeitig weitergeht? Der IS will nicht kapitulieren, sondern im Gegenteil, seine Aktivitäten auch außerhalb Syriens und des Iraks fortsetzen. Es erfordert zudem große Anstrengungen, andere aufständische Organisationen zum Frieden zu bewegen. Man hat einfach zugelassen, dass sich der Krieg in Syrien zu weit entwickeln konnte.“
Westen muss Schutzzonen in Syrien einrichten
Die Feuerpause wird nicht ausreichen, um die syrische Bevölkerung zu schützen, fürchtet das wirtschaftsliberale Handelsblatt und fordert den Westen auf, aktiv zu werden:
„Dazu gehört erstens, die Machtpolitik Moskaus zu durchkreuzen, und zweitens, die eigene Schockstarre zu überwinden. Wer die Waffen in Syrien zum Schweigen bringen will, kommt um eine vom Westen garantierte Sicherheitszone für die Zivilbevölkerung nicht herum. ... Im Osten Syriens, wo die Amerikaner am präsentesten sind, ist dies noch immer eine Möglichkeit, um die humanitäre Katastrophe zu lindern. Ohne eine Unterstützung am Boden, auch das muss allen klar sein, wird das nicht gelingen. Die Erfahrungen in der Ukraine zeigen, dass Putin bisher nur einlenkt, wenn der Westen einig und entschlossen handelt.“
Waffenruhe ist eher ein Krieg à la carte
Die vereinbarte Waffenruhe hat kaum eine Chance, umgesetzt zu werden, prophezeit die liberale Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore:
„Die Vereinbarungen zur Feuerpause zwischen den USA und Russland sind eine Kopie der gescheiterten Münchner Absprache und haben zudem surreale Züge. Erstens gilt die Waffenruhe nicht für Stellungen der IS-Terrormiliz, des Al-Qaida Ablegers Al-Nusra-Front und andere Guerillagruppen, die von den Türken und den Saudis unterstützt werden. Sie werden dem Plan nicht wie vorgesehen bis Freitagmittag zustimmen. Zweitens hat der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu beim gestrigen Treffen mit seinem italienischen Amtskollegen Paolo Gentiloni erklärt, dass für die Türkei die syrischen Kurden Terroristen sind. Somit setzt die Türkei die Kämpfe fort und erwägt sogar, Bodentruppen zu entsenden. Mit anderen Worten: Die Waffenruhe ist derart selektiv, dass man von einem Krieg à la carte sprechen kann. Jeder darf sich aus der Speisekarte seinen eigenen Feind rauspicken.“
Feuerpause Ausweg aus Kurdenkonflikt
Die Türkei sollte die Einigung auf eine Feuerpause nutzen, ihre Haltung gegenüber den Kurden in der Region zu überdenken, fordert die liberale Internetzeitung Radikal:
„Wir befinden uns in einem Zustand, in der die Wahrnehmung überwiegt, der Anschlag von Ankara sei von der PYD - oder ihren Partnermächten - verübt worden. Es ist klar, dass auch die PYD dadurch beschädigt wurde. ... Im Nahost erleben wir sehr schmerzhafte Entwicklungen. Die Waffenruhe kann man als Möglichkeit zum Luftholen sehen. Man kann sie als Chance wahrnehmen, das Thema erneut zu überprüfen. ... Ja, das PKK-PYD-Bündnis hat alle Brücken zur Türkei abgebrochen. Die Türkei führt ihre Antwort mit der gleichen Härte fort. Dabei ist es dringend erforderlich, dass Ankara in der Kurdenfrage neue Auswege findet.“
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