Österreicher dürfen Präsidenten noch nicht wählen
Weil Wahlumschläge sich offenbar nicht richtig zukleben lassen, wird die Wiederholung der Stichwahl zum Bundespräsidenten Österreichs auf den 4. Dezember verschoben. Für einige Kommentatoren setzt sich damit eine so peinliche wie absurde Pannenserie rund um die Präsidentschaftswahl fort. Andere mahnen die Österreicher, sich jetzt nicht verunsichern zu lassen.
Kafkaeskes Theater
Die Pannenserie in Österreich übersteigt selbst die surreale Phantasie eines Kafka, höhnt Il Sole 24 Ore:
„Die politische Realität im Post-Brexit-Europa übertrifft selbst die kühnsten Phantasien. Kaiser Franz Joseph wird sich im Grab umdrehen, während viele Beobachter vermuten, dass die beiden derzeit in Wien regierenden Parteien an einem Aufschub interessiert sind. … Die Bundespräsidentenwahlen werden zur unendlichen, um nicht zu sagen zur kafkaesken Geschichte: Das Wiener Verfassungsgericht hatte der Klage der FPÖ, Hofers Partei, stattgegeben. Es hätte Unregelmäßigkeiten bei der Briefwahl gegeben. Kein Wahlbetrug, doch die Briefe hätten laut Gesetz am Montag und nicht - wie in vielen Wahlkreisen geschehen - schon am Sonntagabend geöffnet werden müssen. … Auf die traditionelle Neujahrsansprache des Bundespräsidenten wird Wien wohl verzichten müssen. Der nächste Bundespräsident wird im Januar vereidigt. Wenn alles gut geht in einem Land, das genau zur Hälfte gespalten ist.“
Österreich ist keine Bananenrepublik
Österreich muss jetzt einen kühlen Kopf bewahren und darf das, was passiert ist, nicht überbewerten, mahnt der Kurier:
„Das ist unangenehm, das verlängert einen ohnehin schon langen Wahlkampf, das lenkt die Politik von wesentlichen Fragen ab. Aber deshalb sind wir noch lange keine Bananenrepublik. Denn die Pannen wurden offen gelegt und Verschwörungstheorien, wonach irgendwer Interesse an einer Verschiebung der Wahl hat, kann man als unsinnig abtun. Das sollte man auch mit Ideen machen, Wahlkarten generell abzuschaffen. Im Internet-Zeitalter werden wir bald auch online wählen können. Die Menschen sind mobil, viele reisen oder leben im Ausland. Sollen sie kein Wahlrecht haben, nur weil es einmal Pannen gab? Jetzt soll der Wahlkampf ein paar Wochen ruhen, den beiden Kandidaten - und uns Staatsbürgern - sei eine Pause gegönnt. Anfang November können die beiden ja Ihre Auseinandersetzung wieder aufnehmen.“
FPÖ hat die Atmosphäre vergiftet
Die Wahl wurde verschoben, gewonnen hat bereits die FPÖ, konstatiert der Tages-Anzeiger:
„Um die Stimmung der Wut und Politikverdrossenheit zu verstärken, müssen die Rechtspopulisten nicht an der Regierung sein. Sie haben die 'Lufthoheit über den Stammtischen' (wie ein Sozialdemokrat einmal sagte), sie geben den öffentlichen Diskurs vor. Sie bestimmen, was 'Heimat' bedeutet, wer zum Volk gehört (hellhäutige Menschen in Lederhosen oder Dirndl) und wer zur 'Schickeria' (Künstler, linke Intellektuelle). Sie bestimmen, wer Freund und wer Feind ist; wann Wahlen fair sind (wenn die FPÖ gewinnt) und wann sie wiederholt werden müssen (wenn sie verliert). ... Die FPÖ hat ihre eigenen Kommunikationskanäle aufgebaut, in denen ungestört (und häufig unbeobachtet) Verschwörungstheorien verbreitet werden. Die Regierung und die linke Opposition haben hingegen keine eigene Geschichte zu erzählen. Ihre einzige Antwort ist, gegen die FPÖ zu sein. SPÖ und ÖVP schweisst nur mehr der drohende Machtverlust zusammen. Es ist eine Grosse Koalition der Angst.“
Grüner Kandidat wächst in seine Rolle hinein
Von der Veschiebung der Bundespräsidentenwahl in Österreich könnte der grüne Kandidat Alexander van der Bellen profitieren, glaubt die Tageszeitung taz:
„[D]ie FPÖ trommelt jetzt natürlich fleißig, dass 'das System' diesen Wahlkartenskandal verursacht hat. Alles, was Zorn auf die Regierung begründet, hilft zunächst dem Anti-System-Kandidaten. Aber die Polarisierung und die zunehmend radikalisierte Anti-System-Rhetorik, in die sich die FPÖ hineinschraubt, kann letztlich auch dem grünen Kandidaten nützen. Er wächst mehr und mehr in die präsidiale Rolle hinein, gibt sich staatsmännisch und ausgleichend – während sein Konkurrent Gefahr läuft, ein rein ultrarechtes Programm für seine Stammklientel zu fahren und darüber die Mitte zu verlieren. Anti-System-Zorn versus maßvolle Vernunft: Man wird sehen, welche dieser beiden Dynamiken den Ausschlag geben wird.“