Liberale geben Grillos Protestpartei einen Korb
Der Vorstand der Liberalen im Europaparlament (Alde) hat eine Aufnahme der italienischen Protestpartei Movimento 5 Stelle abgelehnt. Movimento-Chef Beppe Grillo und Alde-Fraktionsvorsitzender Guy Verhofstadt hatten in den vergangenen Tagen versucht, diese einzufädeln, doch letztlich erfolglos. Journalisten sprechen von einer peinlichen Blamage für beide Politiker und erkennen einen kleinen Triumph des besseren Europas.
Pakt mit dem Teufel wurde durchkreuzt
Die Alde-Fraktion hat sich gewehrt und ihrem Vorsitzenden Guy Verhofstadt eine Lektion erteilt, freut sich Il Sole 24 Ore:
„Der Belgier glaubte, die Basis nach eigenem Belieben manipulieren zu können. Doch sah er sich am Ende gezwungen, den Pakt wider die Natur mit der Bewegung von Beppe Grillo aufzugeben. Wenigstens einmal hat überraschend das Europa des skrupellosesten Opportunismus verloren und das bessere Europa gesiegt: das Europa der Werte und der politischen Kohärenz. ... Das ist die beispielhafte Lehre, die aus dem groben Patzer von Verhofstadt zu ziehen ist. Er wollte aus seiner Gruppe die drittstärkste Fraktion im Parlament machen - nach den Konservativen und den Sozialisten - und er wollte vor allem auf diese Weise die Präsidentschaftswahl des Europaparlaments am 17. Januar für sich entscheiden. Um dieses Ziel zu erreichen, war er zu allem bereit: Auch über die Seinigen hinwegzugehen und heimlich, hinter verschlossene Türen, einen 'Pakt mit dem Teufel' einzugehen.“
Verhofstadt hat sich unwählbar gemacht
Mit ihren Absprachen hinter den Kulissen haben sich Guy Verhofstadt und Beppe Grillo gleichermaßen geschadet, glaubt der Tages-Anzeiger:
„Grillo ist zwar gegen den Euro, will aber anders als [Ex Ukip-Chef] Farage in der EU bleiben. Da versprach der Wechsel in die Fraktion der Liberalen in Zukunft mehr Macht und Einfluss. Darum ging es auch Guy Verhofstadt, der nächsten Dienstag Nachfolger von Martin Schulz als EU-Parlamentspräsident werden wollte. Nun kann er seine ohnehin vagen Hoffnungen endgültig begraben. Der Plan für ihren Pakt hat den beiden Politikern kein Glück gebracht. Verhofstadt und Grillo stehen jetzt gleichermassen blamiert da. Sie haben die Vernunftehe hinter den Kulissen vorangetrieben, entgegen allen ihren Sonntagsreden über Transparenz. Der Glaubwürdigkeit von Politik haben sie damit keinen Dienst erwiesen, im Gegenteil.“
Dreister Opportunismus
Als Demonstration der Prinzipienlosigkeit von Grillos Partei bewertet das Nachrichtenportal Club Z die Affäre:
„Movimento 5 Stelle ist gegen den Euro, Alde will ihn behalten. Movimento 5 Stelle ist gegen Russland-Sanktionen, Alde entschieden dafür und verlangt sogar ihre Ausweitung. Movimento 5 Stelle wehrt sich gegen die Einmischung Brüssels in nationale Angelegenheiten, Alde will wesentlich mehr nationale Aufgaben nach Brüssel delegieren. ... Kurz gesagt: Die Abgeordneten des italienischen Komikers, die den etablierten Parteien in Italien Angst einjagen, sind innerhalb eines Tages vom einen Ende des politischen Spektrums ins andere abgewandert. Von Prinzipien oder gar Werten kann bei Movimento 5 Stelle nicht mehr die Rede sein.“
Alde will keine Scheinehe mit Grillo-Partei
Die inhaltlichen Gegensätze zwischen der liberalen Alde-Fraktion von Verhofstadt und Grillos Movimento 5 Stelle sind einfach zu groß, konstatiert L'Echo:
„Bislang war die Partei von Beppe Grillo mit dem größten Feind von Verhofstadt verbündet: Nigel Farage und seiner europakritischen britischen Partei. Weiter vom föderalistischen Ideal des Belgiers kann man gar nicht entfernt sein. Verhofstadt ist ein brennender Verteidiger einer harten Linie gegenüber Moskau, Beppe Grillo plädiert für ein Ende der Sanktionen und eine Annäherung an Wladimir Putin. Verhofstadt verteidigt die Gemeinschaftswährung, Grillo will ein Referendum über einen Austritt Italiens aus dem Euro. Gewiss haben die Liberalen und Grillos Bewegung gemeinsame Ziele: Transparenz, eine direktere Demokratie, Umweltschutz. Doch konnte das genügen? Mit der Antwort am Ende der Sitzung des Alde-Vorstands wurden die Hoffnungen enttäuscht. Nein, Liberale und Demokraten sind nicht bereit für eine Scheinehe mit dem Movimento 5 Stelle.“
Protestpartei will endlich Politik machen
Grillo befindet sich schon mitten im Wahlkampf, analysiert La Repubblica:
„Grillo weiß, dass der Wahlkampf eröffnet ist. ... Die Partei Movimento 5 Stelle kann aber nicht länger mit ihrem 'aufrichtigen Dilettantismus' [kein Fachwissen, aber aufrichtige Politik] den Bürgern gegenübertreten. Der genügt, wenn man in der Opposition sein will, aber er reicht nicht, wenn man antreten will, um das Land zu regieren. Deshalb muss die Partei wenigstens ein Zeichen geben, dass sie jetzt in der Lage ist, sich als Regierungspartei zu begreifen. Das Bündnis mit den Liberalen in Europa, mit all seinen offenkundigen Grenzen und nachweislichen Widersprüchen, spiegelt diesen Versuch wider. ... Erstmals scheint die Bewegung im Parlament von Straßburg das machen zu wollen, was sie im italienischen Parlament nie getan hat: Politik.“
Deal mit Guy Verhofstadt
Hinter Grillos plötzlicher Hinwendung zur liberalen Fraktion Alde steckt ein Deal mit deren Vorsitzendem Guy Verhofstadt, glaubt Huffington Post Italia:
„In Kürze werden in Europa die Ämter neu besetzt, darunter auch das des Parlamentspräsidenten. Der Fraktionschef von Alde, Belgiens Ex-Premier Guy Verhofstadt, der seit jeher der russischen Präsidentschaft von Putin kritisch gegenüber steht, tritt gegen Gianni Pitella von den Sozialdemokraten und gegen Antonio Tajani von der Europäischen Volkspartei an. Es ist klar, dass die Stimmen der Partei Movimento 5 Stelle [dem Kandidaten] Verhofstadt zukommen werden, sollten die Anhänger von Grillo für den Wechsel zu Alde stimmen. Nur schade, dass er bisher von den Grillini als 'nicht präsentabel' abgestempelt wurde. Trotzdem wollen Grillo und [der Sohn des Mitbegründers des Movimento 5 Stelle Davide] Casaleggio Verhofstadt am Montag in Brüssel treffen.“