Papst geißelt Missbrauch in der Kirche
Papst Franziskus hat vor seiner Irland-Reise eine "Null-Toleranz-Haltung" gegenüber sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche gefordert. In einem Brief an alle Gläubigen bezeichnete er diesen als Verbrechen, forderte Aufklärung und prangerte eine "anomale Verständnisweise von Autorität in der Kirche" an. Werden die Worte des Kirchenoberhaupts etwas ändern?
Endlich klare Kante gegen Vertuschung
Warum der Brief so wichtig ist, erklärt Polityka:
„Man könnte sagen: Der Brief kommt zu spät, das ist nur Krisenmanagement. Und die Fragen nach dem Zölibat und Entschädigungen kommen darin nicht vor. Und doch ist der Brief von Franziskus wichtig. ... Der Ton des Briefes ist klar und eindeutig. ... Franziskus' Kritiker würden die Probleme lieber intern, ohne die Öffentlichkeit klären. Sie mögen es, die Schuld auf angebliche Verschwörungen gegen die Kirche in Medien und Politik zu schieben. Sie lieben es, auf Fälle von Pädophilie in anderen Religionen und Konfessionen zu verweisen. Papst Franziskus wählt einen anderen Weg. ... Er hat die Weitsicht, die den Verteidigern des pädophilen Status Quo in der Kirche fehlt. Denn die Bestialität der Pädophilie zerstört die Kirche moralisch und geistig stärker als die anderen Sünden der Kirche, zum Beispiel die Gier.“
Kirche braucht Gewaltenteilung
Erst vergangene Woche hatte der Bericht einer Untersuchungskommission im US-Bundesstaat Pennsylvania die Missbrauchstaten von rund 300 Priestern an etwa 1.000 Minderjährigen in einem Zeitraum von 70 Jahren dokumentiert. Dass sich nach dem Brief des Papstes etwas ändern wird, bezweifelt der Chefredakteur der christlichen Wochenzeitung Tertio, Emmanuel Van Lierde, in De Morgen:
„Das Scheitern der bischöflichen Führung habe die moralische Katastrophe mit verursacht, meinte Kardinal Daniel DiNardo, Vorsitzender der amerikanischen Bischofskonferenz. Bischöfe hätten eingreifen können, aber taten es nicht. Würden sie es heute tun oder müssten es andere für sie tun? Nötig sind eine echte Trennung der Gewalten in der Kirche und eine unabhängige Kontrolle derjenigen, die die Macht ausüben. Beides fehlt jetzt. Mit gegenseitigem brüderlichen Ermahnen allein wird es nicht gelingen.“
Nieder mit dem Zölibat
Die verstaubte Sexualmoral und der Zwang zum Zölibat in der katholischen Kirche gehören endlich abgeschafft, fordert in Público André Lamas Leite, Professor für Recht an der Universität Porto:
„Dieses Problem kann nur dann eingedämmt werden, wenn die Kirche endlich ihre Position bezüglich der Priesterweihe revidiert. Das heißt, wenn sie das Zölibat für Priester als freiwillig erklärt und den Klerikern auch endlich die Tür zur Eheschließung öffnet. Wie viele Jahrhunderte braucht es denn, damit die Kirche realisiert, dass die meisten Menschen das Bedürfnis haben, ihre Sexualität auszuleben, ohne dass daran irgendetwas Schmutziges oder Unreines ist? ... Darüber hinaus sollte sich der Klerus auch psychischen Untersuchungen unterziehen - nicht nur bevor sie in das 'geweihte Leben' eintreten, sondern auch regelmäßig danach.“
Worte des Bedauerns reichen nicht
Der Papst sollte bei seinem Besuch in Irland am kommenden Wochenende klarstellen, dass die Kirche etwas gegen den Missbrauch in den eigenen Reihen tun wird, fordert The Irish Independent:
„Wir wissen nicht, ob wir speziell an die Menschen in Irland gerichtete Worte der Entschuldigung hören werden. Doch auch das wäre nicht genug. Die Kirche muss endlich das Licht hereinlassen. Sie muss damit aufhören, die Strafverfolgung durch weltliche Behörden zu bekämpfen, zu behindern und zu schützen. Wenn Papst Franziskus seine Kirche in den Augen des Rests der Welt retten möchte und beweisen will, dass er auf Seiten der Opfer steht, wie das auch in einer Botschaft des Vatikans vor einer Woche behauptet wurde, dann muss er signalisieren, dass die Wahrheit ans Licht kommen wird. Nur dann können alle einen Schritt nach vorne machen und sich wieder an das Gute erinnern.“