Ukraine: Krieg und Gängelung

Journalisten und Medien in der Ukraine sind seit dem Beginn der russischen Großoffensive am 24. Februar 2022 im Ausnahmezustand.

Eine Journalistin in Butscha nach der Wiedereroberung durch die ukrainische Armee im April 2022. (© picture alliance / abaca / Yaghobzadeh Alfred/ABACA)
Eine Journalistin in Butscha nach der Wiedereroberung durch die ukrainische Armee im April 2022. (© picture alliance / abaca / Yaghobzadeh Alfred/ABACA)
Sieben Medienschaffende starben 2022 innerhalb weniger Wochen durch Kriegshandlungen, bis Mai 2023 stieg diese Zahl auf mindestens 17. Besonders unabhängigen Medien wird die Arbeit erschwert durch Ausfälle von Strom und Internet. Die Preise für Papier sind explodiert, viele Redakteure wurden zum Militär einberufen.

Vor dem Beginn der Großoffensive war die ukrainische Medienlandschaft vielfältig, allerdings gehörten vor allem die landesweiten Fernsehsender einflussreichen Politikern und Oligarchen und waren Werkzeuge in der politischen Auseinandersetzung.

Direkt am 24. Februar wurden alle großen Fernsehsender zu einem "Telemarathon" unter dem Titel “Die Vereinten Nachrichten” zusammengeschaltet, der bis heute ein einheitliches Programm sendet.

Medien, denen vorgeworfen wird, russische Propaganda zu betreiben oder die politischen Rivalen von Präsident Selenskyj nahestehen, wurden abgeschaltet: Seit August 2021 ist das Nachrichtenportal strana.news durch Beschluss des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates landesweit blockiert. Und die dem Ex-Präsidenten Petro Poroschenko zugerechneten Fernsehkanäle Prjamij und 5. Kanal sind ebenso wie espreso.tv, das Nikolaj Knaschizkij, einem Weggefährten von Poroschenko gehört, vom Kabelfernsehen ausgeschlossen. Der reichste Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, sah sich im September 2022 gezwungen, alle seine TV- und Print-Lizenzen an den Staat zu geben und seine Online-Medien einzustellen.

Kritische Stimmen unerwünscht

Im Dezember 2022 wurde ein Mediengesetz verabschiedet, das dem Präsidenten weitreichende Befugnisse einräumt. So kann er vier von acht Mitglieder des Nationalen Fernseh- und Rundfunkrats ernennen. Vier weitere Mitglieder ernennt das Parlament, und in diesem verfügt die Präsidentenpartei “Diener des Volkes“ über die Mehrheit.

Dieser Rat kann Geldstrafen verhängen oder registrierte Online-Medien nach vier groben Verstößen innerhalb eines Monats sperren, wenn ein entsprechender Gerichtsbeschluss vorliegt. Ist das Medium nicht registriert, kann es durch Entscheid dieses Rates nach fünf Verstößen auch ohne Gerichtsbeschluss für 14 Tage blockiert werden.

Vor diesem Hintergrund gewinnen Telegram, Youtube und Facebook zunehmend an Bedeutung. Deren Vielfalt hat für einen großen Teil der Bevölkerung mehr Attraktivität als der auf allen Sendern laufende "Telemarathon".

Geldmangel und Gängelung

Doch auch vor dem Februar 2022 hatten es die Medien in der Ukraine nicht leicht. Kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie schlossen viele Kioske und Verkaufsstellen für Zeitungen.
Durch Gebietsreformen wurden Kommunen und Regionen neu organisiert. Dies war für viele Regionalzeitungen eine große Herausforderung, hatte sich doch ohne ihr Zutun auf einmal die Zielgruppe geändert. Auch die Reform der ukrainischen Post, Ukrposhta, Monopolist ist bei der Auslieferung von Zeitschriften, wirkte sich negativ auf die Existenz der Printmedien aus. So wurde nicht nur die Gebühr für die Zustellung von Zeitschriften auf 40 Prozent des Abonnementpreises angehoben, viele Postämter, die für die Belieferung mit Zeitschriften zuständig waren, wurden geschlossen.

Auch die Behörden sind in den letzten Jahren mehrfach gegen unliebsame Medien vorgegangen. Im September 2019 entzog der staatliche Fernsehrat dem TV-Sender 112.ua die Sendelizenz. Der Chefredakteur von Strana, Ihor Guschwa, floh aus Angst vor einer Inhaftierung im Januar 2018 nach Österreich, wo er im September gleichen Jahres politisches Asyl erhielt.

Journalistische Arbeit ist gefährlich

Schlagzeilen über die Landesgrenzen hinaus machte im Jahr 2000 der Mord an Heorhij Honhadse (Georgi Gongadze), dem Gründer der Ukrajinska Prawda. Nach dem Maidan 2014 wurden 2015 der russlandfreundliche Publizist und Ex-Chefredakteur der Tageszeitung Segodnja, Oles Busina, und 2016 der aus Belarus stammende Geschäftsführer der Ukrajinska Prawda, Pawel Scheremet, ermordet. Großes Aufsehen erregte schließlich auch der Mord an dem Enthüllungsjournalisten Wadim Komarow. Er wurde am 4. Mai 2019 überfallen und erlag sechs Wochen später seinen Verletzungen.

Der Markt der Tageszeitungen hat sich stark gelichtet. Als politische Zeitung mit hohem Anspruch hat sich einzig das Blatt Den gehalten. Im Bereich der Wochenzeitungen hat sich das Journal NV als führendes analytisches Magazin etabliert, das gleichzeitig auch ein sehr professionelles Internetportal betreibt.


Rangliste der Pressefreiheit (Reporter Ohne Grenzen):
Platz 79 (2023)

Stand: Mai 2023
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