Wie sollte sich die EU neu ausrichten?
Wochenlange Debatten über die Verteilung von Posten, noch immer keine gemeinsame Position in der Migrationsfrage und der nahende Brexit: Dies sind nur einige Probleme, die die EU derzeit beschäftigen. Doch nicht alle Autoren sehen die europäische Idee angesichts dieser Konflikte als gescheitert an und machen zu Beginn der Legislaturperiode Vorschläge, wie die Kooperation verbessert werden könnte.
Mehr Eigenständigkeit durch anständigen Haushalt
Warum die EU-Kommission im Interesse der Mitgliedstaaten finanziell besser ausgestattet werden sollte, erläutert der Ökonom und Politologe Josep M. Colomer in El País:
„Derzeit ist die Situation paradox. Weil die europäischen Töpfe für öffentliche Ausgaben so schlecht ausgestattet sind, muss die EU in die staatlichen Haushalte der Mitglieder eingreifen, sie kontrollieren und manchmal retten, was viele als undemokratisch empfinden. Die EU ist zu interventionistisch, weil sie zu schwach ist. Die Alternative besteht darin, die Haushalte der EU-Institutionen zu stärken und dafür weniger in die Sphäre der Staaten einzugreifen, ihnen also eine größere Finanzautonomie zurückzugeben. Man müsste sich von der Idee der 'Fiskalunion' der Staaten verabschieden und stattdessen die Kommission mit mehr Mitteln versehen.“
Berlin und Paris brauchen Sparringspartner
Wie sich der Europäische Rat neu erfinden sollte, skizziert der Wirtschaftswissenschaftler Franco Bruni in La Stampa:
„Ein Rat, dessen politische Geometrie erlaubt, dass Wachstum und Solidarität gefördert werden, eine soziale Säule aufgebaut wird und es ein Minimum an fiskalischer Harmonisierung und mehr Gemeinsamkeit bei der Verteidigung und im Umgang mit Migranten gibt. Es braucht neue Bündnisse. ... Die deutsch-französische Führung hat versucht, sich bei der Vergabe der wichtigsten Posten zu revitalisieren. Aber sie zeigt seit Jahren ihre Grenzen auf und blockiert am Ende die Integration. Frankreich und Deutschland haben interne Probleme, die ihre Außenpolitik, Glaubwürdigkeit und Popularität schwächen. Beiden ist klar, dass ihre Zusammenarbeit fruchtbarer wäre, wenn die beiden anderen Großen, Italien und Spanien, eingebunden wären.“
V4 machen vor, wie es geht
Der Rest der EU sollte sich ein Vorbild an der Visegrád-Gruppe nehmen, rät Krónika:
„Innerhalb der EU scheint die ostmitteleuropäische Zusammenarbeit vorerst eine stabile Säule zu sein. Das geschlossene Auftreten der Visegrád-Staaten, die bisweilen effektiv ergänzt werden durch die baltischen Staaten, Kroatien, Slowenien und Rumänien, ist im gegenwärtigen Chaos ausgesprochen vorbildlich. ... Die Visegrád-Gruppe geht ausgerechnet jenen Staaten gegenüber mit gutem Beispiel voran, die sich in abstrakten Parolen hinsichtlich einer Vertiefung der EU-Integration ergehen. Hier, an der 'Peripherie', gibt es vier Länder, die zeigen, dass sie trotz ideologischer Unterschiede in einer engen Interessengemeinschaft miteinander kooperieren können. Irgendwie sollte das in ganz Europa so funktionieren.“
Das "Europäische Modell" hat ausgedient
Als Vorbild für andere Weltregionen taugt die EU nun wirklich nicht mehr, schimpft hingegen der Geschäftsführer von Visão, Rui Tavares Guedes:
„Wenn die wichtigsten Entscheidungen weiterhin in endlosen Verhandlungsmarathons verlaufen und die Regierenden der Mitgliedsstaaten eine Art Schattentheater aufführen, bei dem die eigenen Interessen über die Interessen des Kollektivs gelegt werden, wird es praktisch unmöglich, das 'Europäische Modell' als ein Vorbild für andere Regionen der Welt heranzuziehen. Und es hat auch schädliche Auswirkungen auf die EU selbst: Wer garantiert nach diesem Kampf um die Posten, dass die Wahl zum EU-Parlament wirklich wichtig ist? Besser wir erinnern uns in fünf Jahren daran, wenn wir wieder mit der erschreckenden Zahl der Nichtwähler konfrontiert werden.“