Warum der Katastrophenverlust für Labour?
Die britischen Unterhauswahlen am vergangenen Donnerstag haben der Labour-Partei ein historisch schlechtes Ergebnis beschert: Statt bisher 262 Sitzen hat die Partei nur noch 203, so wenige waren es zuletzt vor 80 Jahren. Die Überzeugungskraft der Tories war allerdings nicht der Grund, glauben europäische Medien.
Corbyns Programm hat die Mittelschicht verschreckt
Ioannis Papadopoulos, Professor für Politische Philosophie am Institut für internationale und europäische Studien der Universität von Makedonien [in Nordgriechenland], schreibt in Naftemporiki über Corbyns Fehler:
„Die linksgerichtete politische Option, nämlich Unternehmen, Kapitalisten und den Finanzsektor mit neuen Steuern zu belasten, um die Gunst der einfacheren und ärmeren Lohnempfänger zu erlangen, war in einer offenen, international wettbewerbsfähigen und freien Wirtschaft wie Großbritannien eindeutig falsch - insbesondere in einer Zeit großer finanzieller Unsicherheiten angesichts des bevorstehenden Brexit. ... Einfach ausgedrückt: Das Labour-Programm hat nicht nur Plutokraten, Kapitalisten und neoliberale Anhänger der Kasinowirtschaft erschreckt, wie Corbyn dachte. ... Die Mittelschicht, die in allen westlichen Staaten die Wahlergebnisse stark beeinflusst, war ebenfalls erschrocken.“
Die neue Hegemonie der Rechten
Die europäische Linke kann außerhalb der urbanen Zentren nicht mehr punkten, stellt Mérce fest:
„Neben allen lokalen und kontextuellen Faktoren kann man bei den aktuellen britischen Wahlen auch manche Tendenzen, die in den vergangenen Jahren in ganz Europa sichtbar wurden, beobachten: Sowohl die Linke als auch die Liberalen werden immer mehr in die Städte gedrängt, während auf dem Lande die Rechten die absolute Mehrheit bekommen und inzwischen auch große Teile der traditionellen Arbeiterklasse für sich gewinnen. Mit ideologischen Konstruktionen, die auf nationaler Selbstbestimmung, Wohlfahrtschauvinismus und kulturellem Konservativismus basieren, können die Wähler mehr anfangen als mit Gleichheit und Kapitalismuskritik.“
Gerechtigkeit wird bald wieder Konjunktur haben
Der Brexit wird Labour mittelfristig wieder auf die Beine helfen, zeigt sich Politologe Sergej Utkin in Kommersant überzeugt:
„Bei Labour führte man die Brexit-Debatte im Zustand einer tiefen innerparteilicher Spaltung: Ein Teil der Mitglieder ist für den Verbleib in der EU, ein Teil dagegen, und Parteichef Corbyn lavierte nicht gerade elegant zwischen diesen Positionen. Dabei liegt die Stärke von Labour in einem sozialdemokratischen Themenspektrum, das nicht mit dem Brexit steht und fällt. Nach dem EU-Austritt wird die Nachfrage nach sozialen Garantien und Gerechtigkeit nur zunehmen. Eine Parteiführung zu erneuern ist nicht so schwer - und Labour sollte in der Lage sein, in den eigenen Reihen einen Vorsitzenden zu finden, der bei den Briten weniger gespaltene Gefühle weckt als Corbyn.“