Eskalation in Libyen – handelt Erdoğan richtig?
Im Libyen-Konflikt hat der den Osten des Landes kontrollierende General Haftar die Eroberung von Tripolis angekündigt. Dort regiert der von der Uno anerkannte Premier al-Sarradsch. Ihm hat der türkische Präsident Erdoğan nun zugesagt, bei Bedarf Bodentruppen zur Unterstützung zu schicken.
Mit keiner Lüge mehr zu rechtfertigen
Bei einem Einmarsch in Libyen kann die türkische Regierung nicht mit Zustimmung aus der Bevölkerung rechnen, prophezeit T24:
„Die Rechtfertigung für den Eingriff in Syrien, die außer uns kein einziges Land geschluckt hat, war, dass die Sicherheit der Grenzen und des Landes vor Terrorangriffen gewährleistet werden müsse. Aber was für eine Rechtfertigung wird man sich jetzt für die Entsendung von türkischen Soldaten ins Tausende Meilen entfernte Libyen ausdenken? ... Wie wollt ihr die Rechnung für das vergossene Blut jedes Soldaten, der dort fallen wird, begleichen? Während unsere Menschen Tag um Tag verarmen, die Arbeitslosigkeit historische Rekorde bricht, von der Landwirtschaft bis zur Industrie gesamte Wirtschaftszweige zusammenbrechen, wie wollt ihr da der Bevölkerung die nach Libyen gesendeten Hilfsleistungen und Militäreinheiten erklären? “
Noch unübersichtlicher als Syrien
Gazete Duvar hält die Ankündigung Ankaras, Tripolis auf Wunsch mit Soldaten zu unterstützen, für sehr bedenklich:
„Die Situation in Libyen ist mindestens so komplex und problematisch wie in Syrien - wenn nicht sogar noch komplexer und noch problematischer. Daher kann der Preis, den die Türkei dort zahlen muss, mindestens so hoch sein wie in Syrien, wenn nicht sogar höher. Einst marschierte die Türkei sehr abenteuerlich und mit der Erwartung in Syrien ein, auf der Welle der arabischen Aufstände mitschwingend das Schicksal der Region bestimmen zu können. Doch wurde sie dort mit ganz unerwarteten Krisen konfrontiert. Dasselbe könnte nun in Libyen passieren. Deswegen sollte es sich die Türkei nicht nur einmal, sondern tausend Mal überlegen, Militär nach Libyen zu schicken.“
Eigeninteressen verhindern Gespräche
Der Stellvertreterkrieg in Libyen erreicht eine neue Eskalationsstufe, beobachtet Die Presse:
„Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, kündigt an, notfalls türkische Soldaten zu entsenden, um Libyens Regierung der Nationalen Einheit beizustehen. Das wäre die nächste Stufe der Einmischung in einem Konflikt, in den von Beginn an zahlreiche externe Akteure verwickelt waren. ... [M]ilitärisch ist der Konflikt kaum zu beenden. Dazu würde es neuer ernsthafter Verhandlungen bedürfen. Die externen Player müssten dabei ihren Einfluss auf ihre libyschen Partner geltend machen, um eine tragfähige Lösung zu erzielen. Doch dafür ist - angesichts der strategischen Eigeninteressen - die Motivation nur sehr gering.“
Ohne Truppen kein Mitspracherecht
Moskau und Ankara werden die Westmächte, die das Gaddafi-Regime im Jahr 2011 stürzten, aus dem nordafrikanischen Land verdrängen, mahnt Chefredakteur Maurizio Molinari in La Stampa:
„Das Tandem Erdoğan-Putin würde als neuer Wächter über die Gleichgewichte - einschließlich der energetischen - im östlichen Mittelmeerraum auftauchen. Die Verhöhnung Frankreichs, Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und Italiens, die vor acht Jahren mit Waffengewalt gegen das Regime von Gaddafi eingriffen, könnte nicht offensichtlicher sein. Doch die schwachen Reaktionen auf das, was sich in Libyen derzeit abzeichnet, bestätigen die internen Spaltungen und vor allem die strategische Schwäche der Verbündeten, die entscheidend ist. Um in Libyen - wie auch in Syrien - ein Mitspracherecht zu haben, ist es notwendig, Truppen vor Ort einzusetzen. Es sind Ankara und Moskau, die das tun.“
Für Europa steht zu viel auf dem Spiel
Die EU muss endlich ihre Passivität überwinden, mahnt auch Kolumnist Pierre Haski in France Inter:
„Die Türkei stärkt ihre Position brutal und verdirbt es sich mit den Europäern, da sie ihre Unterstützung der Regierung in Tripolis nutzt, um Seerechte zu erlangen, die sie in Konflikt mit Griechenland und Zypern bringen. … Die Europäische Union war der Krise bislang nicht gewachsen, da sie lange Zeit durch eine taube Rivalität zwischen Frankreich und Italien geschwächt war. Die Koordination zwischen Frankreich, Italien und Deutschland scheint jetzt jedoch besser und der neue EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kennt sich mit dem Thema gut aus. Für Europa stehen in dieser Krise zu viele Interessen auf dem Spiel, als dass es passiv bleiben oder, schlimmer noch, sich spalten darf. Die Krise muss zur Priorität erklärt werden.“