Westliche Botschafter dürfen in Ankara bleiben
Die drohende Ausweisung von zehn westlichen Botschaftern aus der Türkei ist abgewendet. Eine formelle Erklärung der Diplomaten, sich an Artikel 41 des Wiener Übereinkommens - das heißt die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten - zu halten, nahm der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan zum Anlass, nicht auf die Ausweisung zu bestehen. Doch was sind nun die Folgen aus dem diplomatischen Kräftemessen?
Großer Sieg für Erdoğan
Hürriyet ist sehr zufrieden mit dem Verhandlungsgeschick des Präsidenten:
„Erdoğan blieb wieder einmal standhaft und erreichte sein Ziel. Was ist passiert? Erstens hat er gezeigt, dass die Türkei kein Land ist, dem man mit erhobenen Zeigefinger kommen kann. Man sagt nicht umsonst, dass Türkei der Name eines großen Staates ist. Zweitens hat Präsident Erdoğan durch sein hartes Vorgehen sein Ziel erreicht. Drittens wurde gleichzeitig eine für die Türkei schwere Krise abgewendet. Viertens hat die Türkei ihr meisterhaftes Krisenmanagement bewiesen. … Wirtschaftlich wurde eine ernsthafte Gefahr abgewendet. Wären die Botschafter der zehn Staaten ausgewiesen worden, würden wir heute die Alarmsirenen der Wirtschaft hören.“
Westen darf nicht locker lassen
Die EU und die USA sollten weiter darauf drängen, dass in der Türkei demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien eingehalten werden, fordert Financial Times:
„Das Bemühen der westlichen Partner der Türkei, den Streit zu beruhigen, indem sie die Einhaltung von Artikel 41 des Wiener Übereinkommens zusicherten, der Diplomaten dazu verpflichtet, sich nicht in die inneren Angelegenheiten von Gaststaaten einzumischen, war klug. ... Doch die Regierungen der USA und Europas sollten weiterhin auf die Freilassung von Osman Kavala drängen - die Vorwürfe gegen ihn sind fadenscheinig - und auf die Achtung der Rechtsstaatlichkeit pochen. Je weiter sich Recep Tayyip Erdoğan davon entfernt, desto tiefer wird er die Türkei in ein wirtschaftliches und politisches schwarzes Loch führen.“
Das war's mit dem EU-Beitritt
Nach dem ganzen Hin- und Her hat Dagens Nyheter eine eindeutige Meinung:
„Der EU-Beitrittsantrag der Türkei ist absolut tot und muss es bleiben, solange Erdoğan der allmächtige Führer des Landes ist. Die von Deutschland und Frankreich unterzeichnete Erklärung zu Kavala [die eine zügige Klärung des Falls Kavala forderte] bleibt noch immer die Ausnahme. Zu oft wird das Europäische Flüchtlingsabkommen von 2016 als wichtiger angesehen als Menschenrechte.“
Riskantes Vabanquespiel
Mit seinen Angriffen auf den Westen versucht Erdoğan möglicherweise von Problemen im Lande abzulenken, spekuliert Ilta-Sanomat:
„Hätte die Türkei Erdoğans Drohung wahrgemacht, hätte dies den Außenbeziehungen des Landes - und insbesondere der türkischen Wirtschaft - schwer geschadet. ... Die türkische Wirtschaft befindet sich auch ohne diplomatische Auseinandersetzungen im Chaos, weshalb Erdoğans Drohung nicht nur Trotz, sondern auch ein extrem gewagtes Spiel ist. … Die Wirtschaftskrise verärgert die Bürger - und schmälert Erdoğans Beliebtheit in Meinungsumfragen. Die diplomatischen Attacken könnten ein Versuch Erdoğans sein, die Öffentlichkeit von den wirtschaftlichen Problemen des Landes und seiner eigenen sinkenden Popularität abzulenken.“
Kavalas Pech ist, dass er Türke ist
Cumhuriyet erinnert daran, um wen es bei dem Streit mit den zehn Botschaftern eigentlich geht:
„Türke im Ausland zu sein, ist schon schwierig, aber in der Türkei ist es noch schwieriger. Denn ein Ausländer hat die Rechte, die er in seinem Land besitzt, auch in der Türkei. Türken haben dies nicht. Als sich US-Priester Brunson zu demokratischen Praktiken geäußert hatte, wurde er festgenommen, aber nach der Intervention des US-Präsidenten sofort freigelassen. Wenn der Türke Osman Kavala das Gleiche tut, geht er ins Gefängnis, aber auch wenn es ein Gerichtsurteil gibt, holt ihn niemand raus. Niemand darf das kritisieren, weil das dann als Einmischung in innere Angelegenheiten der Türkei angesehen und gesagt wird, dass niemand in die unabhängige Justiz der Türkei eingreifen darf.“