Mattarella bleibt: Status Quo auf Italienisch
Nach einer Woche Hin und Her ist Italiens Präsident Sergio Mattarella für eine zweite Amtszeit wiedergewählt worden. Der 80-Jährige wollte abtreten, doch die Parteien konnten sich auf keinen Nachfolger einigen. Auch Premier und Favorit Mario Draghi erhielt mehrmals nicht genug Stimmen. Am Ende ließ sich Mattarella überreden. Kommentatoren betrachten das Ergebnis wohlwollend, sein Zustandekommen jedoch mit Sorge.
Nur er hält Italien noch zusammen
Für die Aargauer Zeitung hat sich vor allem gezeigt, dass sich die "Regierung der nationalen Einheit" gar nicht so einig ist:
„Sechs Tage und sieben Wahlgänge lang hatten die einzelnen Regierungsparteien versucht, sich bei der Wahl eines neuen Staatspräsidenten gegenseitig auszutricksen: Taktische Spielchen, mangelnde Dialogbereitschaft, persönliche Eitelkeiten und Eifersüchteleien und nicht zuletzt auch die erschreckende politische Unbedarftheit einiger Protagonisten – allen voran von Lega-Chef Matteo Salvini, für den die Nachfolgewahl für Mattarella zu einem persönlichen Desaster wurde – hatten die Lage beinahe ausweglos erscheinen lassen. Sogar ein Sturz der Regierung und Neuwahlen lagen in der Luft.“
Das Ausland atmet auf
Das war wohl die italienische Art, alles beim Alten zu belassen, kommentiert der frühere Chef von The Economist, Bill Emmott, in La Stampa:
„Aus der Sicht des Auslands war die große Zitterpartie um den Quirinalspalast eine perfekte italienische Geschichte. Da war das exotische Drama des Wahlkampfs von Silvio Berlusconi, gefolgt von seinem Rückzug und einer Reihe von machiavellistischen Intrigen. Dann das Theater der endlosen Abstimmungen mit leeren Wahlzetteln und einer Reihe von Namen, die wahllos in den Ring geworfen wurden. Schließlich ein einigermaßen glückliches Ende, das das Ausland beruhigt. Wenn die Welt im Jahr 2021 mit Sergio Mattarella als Staatspräsident und Mario Draghi als Premierminister zufrieden war, warum sollte dies nicht auch 2022 gelten?“
Draghi kann weiter durchregieren
Dass Mario Draghi nicht ins Präsidentenamt wechselt, ist für den Rom-Korrespondenten des Handelsblatts, Christoph Wermke, eine gute Nachricht:
„Noch immer befindet sich Italien inmitten der vierten Coronawelle. Die Industrie ächzt unter hohen Energiepreisen und braucht staatliche Unterstützung, um nicht den Aufschwung zu gefährden. Obendrein kommt bald die nächste Tranche der Hilfsmilliarden aus Brüssel an, die vernünftig investiert werden muss - und nicht in der Bürokratie oder gar in den Händen der Mafia versickern darf. Auch weitere Reformen muss die Regierung auf den Weg bringen, etwa beim komplizierten Steuersystem. ... Draghi hat in dem guten Jahr an der Macht bewiesen, dass er durchregieren kann und sich wenig um Parteipolitik schert ... . Er sollte die Zeit gut nutzen.“
Wahlfarce stärkt die extreme Rechte
Dass sich die an der Regierung beteiligten Parteien nicht auf einen gemeinsamen anderen Kandidaten einigen konnten, kommt den Fratelli d'Italia zu Gute, analysiert Financial Times:
„Inmitten dieser auf den jeweils eigenen politischen Vorteil bedachten Kalkulationen schlägt eine Partei einen klar erkennbar anderen Weg ein: die rechtsextremen Fratelli d'Italia, angeführt von Giorgia Meloni. Sie ist die einzige Großpartei, die sich weigerte, Mario Draghis Regierung beizutreten, und Meinungsumfragen zeigen, dass sie derzeit die beliebteste Partei auf der rechten Seite des politischen Spektrums ist. Italien könnte in knapp einem Jahr vor der Entscheidung stehen, den ersten rechtsradikalen Premier der Nachkriegszeit einzusetzen.“