Italien: Berlusconi will doch nicht Präsident werden
Rückzieher kurz vor der heutigen Präsidentschaftswahl: Der 85-jährige ehemalige Regierungschef Silvio Berlusconi hat am Samstag seine Kandidatur für das Amt an der Staatsspitze zurückgenommen. Kommentatoren halten das für einen gravierenden Einschnitt.
Der Berlusconismus lebt weiter
Zumindest dieser Alptraum bleibt Italien erst einmal erspart, kommentiert Der Tagesspiegel:
„[Berlusconi] hätte auch weiter gegen Richter und Rechtsstaat PR gemacht, Frauen herabgesetzt und seine Unternehmensinteressen dort verfolgt. Als Steuerbetrüger ist er inzwischen sogar zu vier Jahren verurteilt. ... Wirklich schlimm ist nicht die Realitätsferne und der Narzissmus eines Mannes. Erschreckend ist eine politische Rechte, die ihn, hätte er die nötige Stimmenzahl zusammengebracht, ins Amt gehievt hätte. Eine Rechte, die ständig 'Ehre' und 'Ordnung' im Munde führt – nur da – und die größte Aussichten hat, nach der nächsten Parlamentswahl 2023 die Mehrheit zu stellen. ... Ganz sicher ist: Der Berlusconismus, sein fürchterliches Erbe, lastet weiter auf Italien.“
Ende einer Ära
Der Rücktritt hat entscheidende Folgen für das Mitte-rechts-Bündnis, glaubt La Repubblica:
„Die Präsidentschaftswahl ist das erste große politische Ereignis der Post-Berlusconi-Ära in dem Sinne, dass die Kandidatur des Cavaliere und sein Verzicht das Ende eines langen Abenteuers bedeutet. ... Zum ersten Mal siegt das Realitätsprinzip über die Ich-Ideologie, in der für den Führer nichts unerreichbar ist, derweil alles für ihn erlaubt ist. … Berlusconi nimmt [den anderen rechten Parteichefs] Salvini und Meloni, den ewigen Anwärtern auf die Führungsrolle, jedes Alibi. Das Warten hat ein Ende, der Moment ist gekommen.“
Von dieser Wahl hängt die politische Zukunft Italiens ab
La Vanguardia vergleicht die Situation mit der Wahl eines neuen Papstes:
„Mattarella [derzeitiger Staatspräsident] hat die Messlatte sehr hoch gelegt. ... Die Parteien der Rechtskoalition stehen ohne Kandidaten da, nachdem Silvio Berlusconi das Handtuch geworfen hat, als er merkte, dass er keine Unterstützung hatte. ... Die Mitte-links-Bewegung sucht ebenfalls einen gemeinsamen Kandidaten. ... Draghi ist der Favorit, aber seine Wahl würde voraussetzen, dass ein neuer Premier gefunden wird, was sehr schwierig ist, da die derzeitige Koalition, die ihn unterstützt, aus sehr unterschiedlichen Parteien besteht. ... Heute beginnt ein Prozess, der mit den päpstlichen Konklaven verglichen wurde und von dessen Ausgang die politische Zukunft Italiens abhängen wird.“