Elisabeth Borne wird Frankreichs Premierministerin
Frankreich bekommt zum zweiten Mal in seiner Geschichte eine Premierministerin. Präsident Emmanuel Macron hat die bisherige Arbeitsministerin Elisabeth Borne zur Nachfolgerin von Premier Jean Castex ernannt. Die 61-jährige Politikerin zählt zu den wenigen, die von Beginn an in Macrons Regierungsmannschaft waren. Kommentatoren diskutieren die Personalie.
Sie bringt die Kompetenz
Corriere della Sera begrüßt den Schritt:
„Die Ernennung von Borne erfolgt mitten im Wahlkampf für die Parlamentswahl vom 12. bis 19. Juni. ... Sollte die Wahl einen Erfolg für Macrons Partei bringen - die sich nun Renaissance statt La République en Marche nennt -, wird sich Premierministerin Borne sofort mit dem von den Franzosen sehnlichst erwarteten Sondergesetz für die Kaufkraft und anschließend mit der Rentenreform, der großen politischen Baustelle der zweiten Amtszeit von Macron, befassen müssen. Sie wird dies mit der gleichen Kompetenz und dem gleichen Verhandlungsgeschick tun, das sie bereits als Verkehrsministerin bei der schwierigen Reform der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF unter Beweis gestellt hat.“
Geschickter Schachzug
Eine schlüssige Wahl, findet auch La Tribune:
„Die Ernennung von Elisabeth Borne soll dem Land sowohl die Neuheit einer Frau als Regierungschefin sowie die Kontinuität einer Wirtschafts- und Sozialpolitik anbieten, für die Emmanuel Macron wiedergewählt wurde. Es ist sehr geschickt, zur Reform der Renten die frühere Ministerin für Beschäftigung, Arbeit und Berufseingliederung zu bestimmen, der selbst die radikalsten Gewerkschaften Gehör und Vertrauen schenken. Um Mélenchon zu besiegen und diejenigen von ihm abzubringen, die von seiner 'Umweltplanung' angetan sind, ist die Nominierung einer Frau, die das Ministerium für die Ökowende geleitet hat und sämtliche industrielle und finanzielle Herausforderungen kennt, zum Führen des Kampfs gegen den Klimawandel auch eine kohärente Entscheidung.“
Die Schuhe sind zu groß
Mediapart ist nicht überzeugt:
„Mit der Nominierung von Elisabeth Borne entscheidet sich Emmanuel Macron bewusst für eine Persönlichkeit mit magerem politischem Kapital. … Elisabeth Borne wird die Schlacht [um die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre] führen müssen nach anderen, noch dringenderen: Bildung einer Regierung, Parlamentswahlkampf, Umsetzung der ersten für diesen Sommer angekündigten Maßnahmen ('Kaufkraft'-Gesetz, Lebensmittelgutschein...). Eine höchst politische Rolle, die sichtbarer ist als alle, die sie bislang innehatte, und bei der ihr technokratisches Image und ihr strenger Stil auf den ersten Blick eher als Last denn als Stärken erscheinen.“
Keine Gefahr für den Präsidenten
Macron hat die folgsame Borne nur aus politischem Kalkül an seine Seite gewählt, ätzt The Spectator:
„Sie ist bis ins Mark eine Technokratin. Sie wurde noch nie für irgendetwas gewählt. Und sie wird niemals eine Gefahr für Präsident Emmanuel Macron darstellen. ... Tief im Inneren ist sie ziemlich langweilig – eine von diesen Streberinnen, an die sich manche von uns aus Unizeiten erinnern und die sich nur selten von ihrem Rechenschieber trennen konnten. Sie ist keine Wahl, die die Wähler elektrisieren wird. Sie wird auch niemals ihren Präsidenten in den Schatten stellen. ... Den Job scheint sie vor allem deshalb bekommen zu haben, weil es Macron passte. Es gibt bei ihr keinerlei Anzeichen für politisches Talent. Aber wahrscheinlich hat er sich gerade deshalb für sie entschieden.“