Wie auf Putins Drohung mit Atomwaffen reagieren?
Nach den Scheinreferenden in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten werden eine baldige Annexion und somit ein neues Drohszenario erwartet: Der Kreml verstünde die Gebiete fortan als russisches Territorium und Versuche der Rückeroberung durch die Ukraine möglicherweise als Angriff auf Russland. Europas Presse fragt sich, wie man mit Putins Drohung umgehen soll, den Einsatz von Atomwaffen nicht auszuschließen.
Moskau könnte Abschreckung für sich nutzen
Sobald die von Russland besetzten ukrainischen Gebiete annektiert werden, ist der Einsatz von Atomwaffen durchaus möglich, befürchtet der Publizist Luís Delgado in Visão:
„Diese Annexion, die niemand akzeptiert, was den Kreml aber nicht stört, ist der nächste Schritt, um die Tür zum Atomwaffenarsenal zu öffnen. ... Putin glaubt, dass die Abschreckung, auf der das Konzept des Gleichgewichts des Schreckens (MAD) beruht, zu seinen Gunsten funktionieren wird. Wenn er taktische Nuklearwaffen einsetzt, werden die Amerikaner oder die Nato nicht in gleichem Maße Vergeltungsmaßnahmen ergreifen. Aus Angst vor Eskalation.“
Russland ist sein Image nicht egal
Was angesichts der Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen zu tun ist, beschreibt die taz:
„Jetzt gilt es, die für ein Bündnis gegen den Einsatz von Atomwaffen zu gewinnen, die von Russland als Partner wahrgenommen werden. Länder wie China, die Türkei, Indien, Kasachstan müssen bewogen werden, ihr Schweigen angesichts eines möglichen Einsatzes von Nuklearwaffen durch Russland zu beenden. Russland ist es nicht egal, was für ein Image es in der Welt hat. Das zeigt die Freilassung von zum Tode verurteilten Kriegsgefangenen und die Gewährung der russischen Staatsbürgerschaft an Edward Snowden.“
Neue Regeln künftiger Kriegsführung
El País glaubt, dass der Kreml den Druck noch verschärfen wird:
„Der harmloseste Fall wäre ein Atomtest in der Nähe der Ukraine, zum Beispiel im Schwarzen Meer, als Warnung und ohne Todesopfer. ... Dieser Krieg wird nicht nur über das Schicksal der Ukraine oder die geostrategische Beschaffenheit Europas entscheiden, sondern auch über die Regeln der künftigen Kriegsführung. Wenn es einem auf dem konventionellen Schlachtfeld besiegten Putin gelingt, durch Androhung und sogar unbeantworteten Einsatz der Bombe zu siegen, wird sein Beispiel fortan in einer gesetzlosen Welt Schule machen.“
Nein zur atomaren Erpressung
Der Westen darf ob der Drohungen keinesfalls zurückweichen, mahnt Le Point:
„Putins Vorgehen ist mit einem Wort zu beschreiben: Erpressung. Donbas und Krim sind - auch nach einer Annexion - illegal besetzte Gebiete. Zuzulassen, dass Grenzen in Europa unter Androhung von Massenvernichtungswaffen gewaltsam verschoben werden, würde geradewegs in die Katastrophe führen. Denn wenn der Kreml nach der Krim vor acht Jahren nun auch im Donbas sein Ziel erreicht, warum sollte er dann auf halbem Weg stehen bleiben? Der Westen, insbesondere Atommächte wie die USA und Frankreich, müssen Russland klarmachen, dass der Einsatz von Atomwaffen für das Land verheerende Folgen hätte. Wladimir Putin ist weder verrückt noch selbstmordgefährdet.“
Vor dem dritten Kollaps
Wer sagt, er bluffe nicht, der blufft, schätzt Le Matin Dimanche:
„Putins Aussage ist deshalb so spannend, weil sie auf eine Konstante hinweist: die uralte russische Art, eingeschrieben in der DNA der Gesellschaft, Lügen zu produzieren. ... Man wähnt sich ständig als Opfer, hält sich für stärker, als man ist - man lügt also auf allen Ebenen. Wladimir Wladimirowitsch ist nur das Produkt dieses endlosen Selbstbetrugs, in einem Land mit dem BIP von Italien und einer Armee aus erschöpften Soldaten und veralteten Kanonen. Das Ganze wird so enden wie immer: Jetzt, in ein paar Monaten oder in ein paar Jahren wird es einen dritten Kollaps geben. Russland ist seit 100 Jahren ein einziger Bluff.“