Wie soll Europa auf Putins "Wiederwahl" reagieren?
Mehrere westliche Staaten haben die Präsidentenwahl in Russland als unfrei und undemokratisch verurteilt - weil es keine Oppositionskandidaten und zudem zahlreiche gemeldete Unregelmäßigkeiten und Repressalien gab. Die russische Wahlkommission hatte Putin am Montag mit 87 Prozent Zustimmung zum Sieger erklärt. Die Presse diskutiert, was der beste Umgang mit dem Ergebnis ist und worauf Europa sich nun einstellen muss.
Den Feind getestet und für schwach befunden
Aus Sicht des Kremlchefs war die Reaktion des Westens kläglich, ist Polityka überzeugt:
„Putin hat den Feind getestet und weiß nun, dass dieser trotz juristischer Argumente nicht bereit ist, ihm die Legitimität der Macht abzusprechen. Der Vorwurf der Verletzung des Völkerrechts ('Wahlen' in besetzten Gebieten), das Fehlen unabhängiger Beobachter der OSZE oder des Europarats, die Nichteinhaltung demokratischer Standards - all dies erscheint als Farce, weil es bei verbaler Kritik bleibt. In den Augen des Kremls zeigt dies, dass der Westen beschlossen hat, demokratische Werte und Standards zurückzustellen, um sich die Option möglicher Gespräche mit dem russischen Führer für die Zukunft offen zu halten.“
Nicht anerkennen
Jydske Vestkysten fordert:
„So wie wir seinen 'Kollegen' Alexander Lukaschenka nicht als belarusischen Präsidenten anerkennen, sollten wir natürlich auch Wladimir Putin nicht als russischen Staatschef betrachten. Die Präsidentschaftswahlen in Russland waren eine Farce ohne den Hauch einer demokratischen Legitimität. Sie sind auch deshalb nicht legitim, weil Russland in völkerrechtswidrig annektierten Gebieten Wahlaktionen durchgeführt hat. Natürlich sollten wir das nicht anerkennen. Ist es sinnvoll, Putins Recht auf die Präsidentschaft anzufechten? Das würde natürlich nicht bedeuten, dass der Autokrat seine Macht aufgibt. Dennoch ist es ein wichtiges Signal dafür, was Dänemark als demokratische Nation nicht akzeptieren wird.“
Wahlrecht für Putinisten in Estland fragwürdig
Postimees sorgt sich um die hohe Zustimmung für Putin in Estlands russischer Minderheit:
„In Estland haben etwa 75 Prozent der russischen Wähler für Putin gestimmt. Im Grunde haben sie hier, wie auch Putins Anhänger in Russland, dem Diktator ein Mandat erteilt, seinen brutalen Krieg fortzusetzen. Es wurde nicht nur für Putin gestimmt, sondern auch für Massaker, Vergewaltigungen und Deportationen. Diese Pro-Putin-Haltung der in Estland lebenden russischen Bürger wirft die Frage auf, was mit ihrem Wahlrecht in Estland geschehen soll. Diese Bürger können an den Kommunalwahlen teilnehmen und so die estnische Politik beeinflussen. Putinisten sind eine Sicherheitsbedrohung in Estland, egal aus welchem Blickwinkel man es betrachtet.“
Demokratien zwischen Ideologie und Realität
Demokratische Staaten sind nur begrenzt fähig, auf Wahlfälschungen zu reagieren, erklärt The Economist:
„Fragwürdige Wahlen sind in der ganzen Welt an der Tagesordnung: In mindestens 28 der 76 Länder, in denen dieses Jahr Wahlen stattfinden, wird es keine uneingeschränkt freie und faire Abstimmung geben. ... Die USA, Großbritannien, die Europäische Union und die Ukraine haben das Ergebnis der russischen Präsidentschaftswahlen für unrechtmäßig erklärt. Aber obwohl westliche Länder die Wahl als Betrug verurteilten, sorgten sie doch gleichzeitig dafür, dass die Abstimmung in den russischen Botschaften friedlich ablief. Echte Demokratien sind zwischen einer Ideologie, die sie dazu zwingt zu missionieren, und der Realität einer zunehmend undemokratischen Welt gefangen.“
Ein besonders hartes Szenario für Europa
Das Webportal Iefimerida macht sich Sorgen:
„Die absolute Dominanz Putins im Land und die Umwandlung Russlands in eine militärische Wirtschaftsmacht trotz der anhaltenden Sanktionen des Westens stellen Europa vor ein besonders hartes und herausforderndes Szenario. Entlang der östlichen Grenzen der Europäischen Union, von Rumänien bis Estland und Finnland, gibt es und wird es noch lange einen rücksichtslosen und sehr mächtigen Gegner geben, der die Souveränität und die Hoheitsrechte fast aller seiner Nachbarländer bedroht. 'Russlands Grenzen enden nirgendwo', war der zentrale Slogan von Putins Wahlkampf und es ist eine revisionistische und aggressive Strategie, die wir in Europa jetzt sehr ernst nehmen müssen.“
Dawankow war kein Antikriegs-Kandidat
Der von manchen Putin-Gegnern favorisierte Kandidat Wladislaw Dawankow hat am Tag nach der Wahl Putin einen schnellen Sieg im Krieg gewünscht. Politologe Abbas Galliamow freut sich auf Facebook im Nachhinein, dass sich die Opposition bei Dawankow nicht einig war:
„Jetzt wird es keine breite Enttäuschung geben. Manche meinten ja, Dawankow sei ganz anständig und könne zum Protestkandidaten geformt werden, während andere sagten, dass sei unmöglich. In diesem Moment haben sich viele Leute beschwert: 'Warum schließt sich die Opposition nicht zusammen?!' Doch jetzt zeigt sich: Gott sei Dank hat sie sich nicht vereinigt. Grundsätzlich sollten wir Geschlossenheit nicht zum Fetisch machen. Man braucht sie nur in bestimmten Phasen.“