Nach EU-Gipfel: Neue Härte in der Migrationspolitik?

Die EU-Staaten haben beschlossen, das geltende Recht "dringend" zu überarbeiten, um abgelehnte Asylbewerber schneller abschieben zu können. Dabei sollen auch "neue Wege" gegen irreguläre Migration in Betracht gezogen werden. Unter anderem wurden in Brüssel Asylzentren in Drittstaaten diskutiert, wie sie Italien jüngst in Albanien eröffnet hat. Europas Presse ordnet ein.

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Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Mehrere Tabus gebrochen

Die Neue Zürcher Zeitung begrüßt, dass in die europäische Asylpolitik Bewegung gekommen ist:

„Es war in migrationspolitischer Hinsicht ein aussergewöhnlicher EU-Gipfel, der am Freitag zu Ende ging. Die 27 Staats- und Regierungschefs haben in den letzten Tagen mehrere Tabus fallen gelassen, die vor kurzem noch weitherum sakrosankt schienen. ... Es gibt also eine neue Dynamik in der europäischen Migrationspolitik. Doch führt sie auch wirklich zu den innovativen Lösungen, die am Gipfel pausenlos beschworen wurden? Dass einzelne Staaten oder Staatengruppen jetzt mit Rückführungsabkommen und der Auslagerung der Verfahren experimentieren, ist ... zu begrüssen.“

Večernji list (HR) /

Wer macht eigentlich die EU-Politik?

Večernji list staunt:

„Neben der Ankündigung eines Gesetzes, dass die Abschiebung erleichtert, rief von der Leyen die anderen Staatschefs auf, über die Gründung von Migranten-Centern außerhalb der EU-Grenzen nachzudenken – beziehungsweise über 'Hubs' zur Rückführung, wie sie sie nannte (in Brüssel ist man immer kreativ, wenn es darum geht, mit attraktiven Namen den realen Zweck zu verschleiern). Das zeigt, dass die italienische Premierministerin die italienischen Zentren in Albanien nicht zufällig als Beispiel für den Rest der EU bezeichnete. Doch stellt sich nun die Frage, wer in diesem Moment eigentlich die EU-Politik vorgibt: Ursula von der Leyen oder ihre politische Verbündete und Freundin Giorgia Meloni?“

Phileleftheros (CY) /

Meloni zeigt den Weg

Italiens Regierung steht keineswegs allein da, klagt Phileleftheros besorgt:

„Giorgia Meloni hat sich vom rechten Rand aus zu einer Führungspersönlichkeit entwickelt, die Europa den Weg weist. Um ihre Idee, in Albanien Konzentrationslager einzurichten, in die jene geschickt werden, die Landes- und Wassergrenzen überschreiten, wird sie von fast ganz Europa beneidet. Die Niederlande verhandeln mit Uganda, um dasselbe zu tun, Finnland baut Zäune an seiner Grenze zu Russland, und Ursula von der Leyen verweist auf Italien als Beispiel, dem man folgen sollte.“

Corriere della Sera (IT) /

Rom setzt auf unscharfe Bestimmungen

Am Freitag stoppte ein italienisches Gericht die Unterbringung der ersten Migranten im Asylzentrum Shëngjin in Albanien. Meloni wird sich dadurch nicht aufhalten lassen, meint Corriere della Sera:

„Im Kern geht es um die Frage, welches die 'sicheren Drittstaaten' sind ... Der Europäische Gerichtshof hat unlängst [am 4. Oktober 2024] die Kriterien neu definiert. Ägypten und Bangladesch, aus denen die zwölf im Aufnahmezentrum Shëngjin eingelieferten Personen stammten, gehören nicht dazu, was den Verantwortlichen für die Einschiffung nach Albanien durchaus bekannt war. Die Kriterien sind jedoch auslegungsfähig und werden als solche von der Regierung Meloni mit einem Dekret neu definiert werden, das die Liste der 'sicheren' Länder willkürlich erweitert, mit dem erklärten Ziel, Ankunftsländer wie das unsere besser zu schützen.“

Jornal de Notícias (PT) /

Deutschland und Spanien setzen Zeichen

Der neue harte Kurs stößt in Europa auf bedeutsamen Widerstand, bemerkt Jornal de Notícias mit Erleichterung:

„Vor dem Hintergrund der Kriege, die immer weltumfassender werden, ist die Flucht vor Tod, Zerstörung und Hunger legitim und stellt Europa vor große Herausforderungen. Europa muss eine gemeinsame und vernünftige Politik betreiben, denn es braucht auch diese Menschen. Es ist wichtig zu erklären, dass sich nicht alle dem von von der Leyen geförderten Prozess der Legitimierung der extremen Rechten beugen. Die spanische und die deutsche Regierung zum Beispiel haben ihre Stimme in eine andere Richtung erhoben, indem sie die mangelnde Ethik und Wirksamkeit des Plans der Italienerin kritisierten und sich weigerten, an einem von Meloni organisierten Migrationsgipfel teilzunehmen.“

El País (ES) /

Menschenrechte und Demokratie verlieren

El País hingegen sucht nach echten Gegenkräften:

„Es gibt Zeichen des Widerstands, einige aus der Justiz, wie das italienische Gericht, das das Meloni-Modell in Frage gestellt hat, wie zuvor auch ein britisches das dortige Ruanda-Modell. ... Aber das sollte uns nicht über den politischen Kampf in Europa und im Westen hinwegtäuschen. Wir, die wir für Menschenrechte und Demokratie eintreten, verlieren. ... Angesichts dieser Erosion ist keine politische Gegenkraft in Sicht. ... Die deutsche Regierung ist im Endzustand. ... Ob die französische überhaupt flügge wird, ist fraglich. ... Italien und die Niederlande sind in den Händen der extremen Rechten. In Spanien halten sich die Sozialdemokraten. ... Sie sagen Dinge, die sie auf die richtige Seite der Geschichte stellen, aber ihre innere Schwäche nimmt ihnen Strahlkraft.“