Italien lagert erste Asylverfahren nach Albanien aus

Italien hat das erste Schiff mit Migranten nach Albanien geschickt. Die Asylanträge der 16 Männer aus Ägypten und Bangladesch sollen dort in Aufnahmezentren im Schnellverfahren geprüft werden. Das sieht ein im vergangenen Jahr zwischen Rom und Tirana vereinbartes Abkommen vor. Kommentatoren beleuchten, was das für Europa bedeutet.

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La Vanguardia (ES) /

Abschottung hat Konjunktur

La Vanguardia erkennt eine europaweite Wende:

„Die EU-Kommission will jetzt die Abschiebevorschriften verschärfen und bewirbt das umstrittene Modell, das Italien mit Albanien vereinbart hat, als 'innovative Lösung'. ... Von der Leyen setzt sich für Abkommen mit 'sicheren Drittstaaten' ein, wie sie mit Tunesien und Ägypten bestehen, und blickt auf Libyen, Algerien und Mauretanien. Mit der Türkei hat die EU seit 2016 ein Abkommen. ... Die Verlagerung zu härteren Maßnahmen zeigt sich auch in den von immer mehr Ländern getroffenen Entscheidungen. Angefangen bei den Grenzkontrollen in Frankreich und Deutschland bis hin zur vorübergehenden Aussetzung des Asylrechts in Finnland und Polen. Die Ablehnung der Migration geht um in Europa.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Beweis europäischer Hilflosigkeit

Das italienische Modell darf nicht zum Vorbild werden, warnt die Süddeutsche Zeitung:

„Wer die Bilder des Hauptlagers im Dorf Gjadër sieht, in denen jetzt Menschen auf Monate weggesperrt werden, bis über ihr Schicksal entschieden ist, dem kann es nur grausen. Europa hat sich an Flüchtlingsheime gewöhnt, in denen Menschen lange Zeit ohne sichere Perspektive hausen müssen, aber dies hier hat eine andere Dimension. Das streng abgeschirmte Lager sieht aus wie ein Hochsicherheitsgefängnis für Schwerverbrecher. Nagelneu, aber unwirtlich, kalt und herzlos. Da klingen die Worte des italienischen Innenministers wie Hohn: Es sei ja schließlich kein Stacheldraht verbaut. Albanien kann nicht die Lösung sein. Es ist der bildhafte Beweis europäischer Hilflosigkeit und Unmenschlichkeit.“

La Repubblica (IT) /

Auf Kosten der Steuerzahler

La Repubblica wirft Rom Kolonialismus gegenüber Albanien vor:

„Seit den Tagen des Außenministers Galeazzo Ciano [der Regierung Mussolini] übt das Land der Adler eine unwiderstehliche Faszination auf die italienische Rechte aus, die sich nun rühmen kann, wieder einmal ein kleines Stück der anderen Seite der Adria italienisiert zu haben. Diese Rückkehr zum alten Kolonialismus geht natürlich auf Kosten der italienischen Steuerzahler. ... Die Opposition spricht von einer Milliarde, andere Recherchen von 600-650 Millionen Euro für ein Abkommen, das zehn Jahre dauern soll. Wenn [Finanz-] Minister Giorgetti bei seiner Ausgabenüberprüfung Ratschläge zur Kürzung unnötiger Ausgaben wünscht, könnte er sein Fernglas in Richtung Tirana richten.“

El País (ES) /

Gesellschaft verroht

El País ist entsetzt:

„Seit einigen Monaten kann man jeden Unsinn über Einwanderer sagen, ohne dass jemand mit der Wimper zuckt. Wir haben sogar gehört, dass die Meloni-Methode funktioniert und es wünschenswert wäre, sie in Spanien nachzumachen. Wirklich? Italien hat nichts anderes getan, als die Rettung schiffbrüchiger Einwanderer zu behindern, die eigenen Häfen zu schließen, um die Route der Überfahrten in Richtung Kanarische Inseln umzulenken, und im benachbarten Albanien Auffanglager zu errichten. ... Nachbarländer, die bei den Menschenrechten noch skrupelloser sind als wir, machen ein Geschäft damit, zu einem undankbaren und gewalttätigen Wartesaal zu werden. ... Das Ergebnis unserer Gleichgültigkeit wird eine gewalttätigere und herzlosere Gesellschaft sein.“