Tauwetter zwischen USA und Russland?

Bei einem Außenministertreffen in Riad haben die USA und Russland erste Schritte einer Annäherung vereinbart. Sie wollen wieder Botschafter in das jeweils andere Land entsenden und ein Treffen der Präsidenten Trump und Putin vorbereiten. Unterhändler sollen auf ein Ende des Ukraine-Krieges, aber auch auf eine vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit hinarbeiten. Europas Presse zieht ihre Schlüsse.

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Der Spiegel (DE) /

Europa muss gegenüber Amerika lauter werden

Die Europäer können immer noch versuchen, Einfluss zu nehmen, schreibt der Spiegel:

„Die Europäer dürfen den öffentlichen Diskurs dazu nicht allein Trump und seinen Helfern überlassen, auch wenn der US-Präsident jeden Tag eine Pressekonferenz gibt. Es gilt, die absurdesten Ideen aus dem Trump-Lager zu verhindern, etwa die Forderung nach umfänglichen ukrainischen Reparationszahlungen an die USA. Oder die Idee, dass vor einer Friedenslösung Wahlen in der Ukraine stattfinden sollten. ... Putin gilt auch in den USA vielerorts als Halunke, von dem man sich als US-Präsident besser nicht über den Tisch ziehen lässt. Den Europäern fällt nun die wichtige, vielleicht die entscheidende, Aufgabe zu, die Amerikaner immer wieder daran zu erinnern – und zwar so laut sie nur können.“

Turun Sanomat (FI) /

Inakzeptabler diplomatischer Durchmarsch

Russland ist in einer guten Verhandlungsposition, bedauert Turun Sanomat:

„Trump meint es ernst mit dem Schaffen von Frieden. Es scheint ihm dabei egal sein, welchen Preis die Ukraine und Europa für den Frieden zahlen sollen. … Europa darf nicht akzeptieren, dass Russland souveränen Staaten Bedingungen für ihre Sicherheitslösungen diktiert. Es gibt kein Land in Europa, das erwägt, Russland anzugreifen. Aber Russland will seine Interessensphäre ausweiten, weil es nostalgische und unrealistische Großmachtambitionen hegt.“

Sme (SK) /

Das war abzusehen

Sme wundert sich nicht über den Verhandlungsstil der USA:

„Warum glaubte irgendjemand, dass ein Mann, der allen Ernstes den Golf von Mexiko in Golf von Amerika umbenennen und die Kontrolle über Grönland erlangen will, nicht ohne die Anwesenheit der überfallenen Ukraine mit Verhandlungen über ein Ende des Krieges beginnen würde? ... Nach Trumps Sieg bei der Präsidentschaftswahl und nach seinen ersten Äußerungen über Putin wurden wir mit dem Allgemeinplatz überschwemmt, die ukrainische Suppe würde nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht wird. Dass Trump sich Putin nicht unterwerfen wird, und wir im Fall der Ukraine allein schon auf sein Ego bauen könnten. Heute plündern Trump und Putin gemeinsam Europa aus.“

Echo (RU) /

Neben Seltenen Erden lockt auch Russlands Öl

Kirill Dmitrijew, Chef des staatlichen russischen Investitionsfonds, erklärte in Riad, US-Ölkonzerne könnten nach Russland zurückkehren und Projekte in der Arktis angehen. Journalist Dmitri Kolesew befürchtet in einem von Echo übernommenen Telegram-Post, dass sich die USA nun bei beiden Kriegsparteien Bodenschätze unter den Nagel reißen könnten:

„Erstaunlich! Man hat uns 15 Jahre lang erzählt, dass wir in den 1990er-Jahren fast die gesamten Bodenschätze an Ausländer verschenkt hätten. ... Nun stellt sich heraus, dass der brave Putin sie gerettet hat, um sie im richtigen Moment den Amerikanern anzubieten. Stellen Sie sich vor, die USA bekämen sowohl günstige Bedingungen im russischen Ölsektor als auch ukrainische Bodenschätze zu räuberischen Konditionen. ... Dann wären der Gewinner in diesem Krieg weder Russland noch die Ukraine, sondern die USA.“

Jyllands-Posten (DK) /

Doch ist der neu gekrönte König nackt

Jyllands-Posten blickt voraus:

„Das nächste russische Ziel wird die Organisation eines Gipfels sein, auf dem Putin seine Bemühungen fortsetzen kann, Trump zu einer Neuordnung der europäischen Sicherheitspolitik zu bewegen. Der Kreml hofft auch, den Amerikaner am 9. Mai zur Militärparade anlässlich des 80. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs nach Moskau zu locken, zu der auch Chinas Xi Jinping erwartet wird. Dies wäre die Krönung für Putin, der den Geist des Russischen Reiches und der Sowjetunion wiederbeleben will – obwohl das moderne Russland ein ganz anderer und viel schwächerer Akteur ist. Denn trotz des russischen Getöses hat der Krieg in der Ukraine in vielerlei Hinsicht die Schwäche von Putins Projekt gezeigt.“

Die Presse (AT) /

Ruhe bewahren und abwarten

Die Presse erwartet keine schnelle Einigung:

„Wie immer im Zusammenhang mit Trump gilt auch hier: Ruhe bewahren und abwarten, was passiert. In der ersten US-Stellungnahme nach dem Treffen in Riad war plötzlich die Rede davon, dass eine Lösung sowohl für die Ukraine als auch für Europa akzeptabel sein müsse und dass man weiterverhandeln wolle. Nach einer raschen Einigung klingt das jedenfalls nicht.“

France Inter (FR) /

Von wegen gemeinsame Interessen

Die USA und Russland liegen längst nicht auf einer Wellenlänge, beobachtet auch France Inter:

„Trump will einen schnellen Frieden. Putin hingegen hat es nicht eilig, obwohl die Wirtschaft seines Landes Anzeichen von Müdigkeit aufweist. ... Seine Armee verfügt über eine eher starke Stellung im Gelände und der Krieg fungiert als Motor seines Regimes. Der US-Präsident kann es sich nicht erlauben, Putin einen großen diplomatischen Erfolg zuzugestehen und schwächer als der Russe dazustehen. Es ist ihm klar, dass Moskaus Partner wie China oder Iran seine Gegner sind. Putin zu stärken hieße, die US-Administration zu schwächen. Das sind Gründe, die denjenigen Hoffnung schenken können, die die Gespräche in Riad am Fernglas verfolgen: die Ukraine und Europa.“

NV (UA) /

Die roten Linien der Ukraine

Kolumnist Iwan Jakowyna zählt in einem von NV übernommenen Facebook-Post auf, was Kyjiw in einem potenziellen Friedensabkommen nicht akzeptieren könnte:

„Kampflose Abtretung ukrainischer Gebiete an Russland; Anerkennung der russischen Souveränität über die besetzten Gebiete; Schwächung der ukrainischen Streitkräfte; Installation einer pro-russischen Regierung in Kyjiw; Verweigerung wesentlicher materieller (und nicht nur auf dem Papier stehender) Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Wenn auch nur einer dieser Punkte im finalen Abkommen auftaucht, wird die Ukraine es einfach nicht unterzeichnen, denn das wäre ein Todesurteil für den eigenen Staat. Die Amerikaner werden wohl mit der Einstellung militärischer und finanzieller Hilfe drohen. Aber eine solche Drohung wird nicht funktionieren, denn Besetzung und der Untergang des Staates wären schrecklicher.“

Index (HU) /

Europa fehlt aus eigenem Verschulden

Kein Wunder, dass Europa nicht am Verhandlungstisch sitzt, meint der ehemalige linke Europaabgeordnete Gyula Hegyi in Index:

„Europas Führung hätte drei Jahre Zeit gehabt, mit Moskau zu verhandeln. ... Sie haben es nicht getan, sie haben versucht, die Aufmerksamkeit von der wahren Situation an der Front mit einer endlosen Flut von Worten abzulenken, während sie selbst nicht an einen ukrainischen Sieg geglaubt haben. ... Dadurch haben sie in den Augen der außereuropäischen Welt (einschließlich des neuen Washington) all ihre Glaubwürdigkeit verloren und sich als schwach und hilflos erwiesen. ... Man muss schon sehr zynisch sein, um jetzt, nach der Ankündigung der US-Friedensinitiative, bei Gesprächen dabei sein zu wollen, die drei Jahre lang aus eigenem Verschulden nicht stattgefunden haben.“

De Standaard (BE) /

Putin ist nicht länger der Paria

Russlands Präsident kommen sowohl der Imagegewinn als auch ein mögliches Ende des Krieges sehr gelegen, meint De Standaard:

„Die entscheidende Frage ist natürlich, ob Putin auch einen gerechten und nachhaltigen Frieden will. … Vorläufig muss er wenig tun. Allein schon die Tatsache, dass Trump ihn treffen will, ist ein Sieg. Der amerikanische Präsident holt Putin aus seinem Pariastatus. In dessen Kopf geht es bei den Gesprächen ja auch gar nicht nur um die Ukraine … Putin kann aber auch etwas gewinnen bei einem Frieden. Wirtschaftlich und militärisch kann er den Krieg nicht durchhalten. Aus Umfragen wird auch deutlich, dass die Russen den Krieg immer deutlicher satt haben.“

Radio Kommersant FM (RU) /

Freundschaft schließen trotz Krieg

Radio Kommersant FM vermutet, dass der Kreml weniger über die Beilegung des Ukrainekriegs als über einen Relaunch der bilateralen Beziehungen sprechen möchte:

„Einer der wichtigsten Punkte ist die Wiederherstellung der vollen Funktionsfähigkeit der Botschaften. Hier scheint man sich einig zu sein. Zumindest hat Rubio dies selbst als Bedingung für einen normalen Verhandlungsprozess vorgeschlagen. ... Es besteht der Verdacht, dass die russische Seite versucht, die Ukraine auszuklammern und zunächst gute Beziehungen zu Amerika wiederherzustellen. Und dann mal weitersehen. Eine solche Wiederherstellung dürfte eine gewisse Aufhebung von Sanktionen voraussetzen. Gleichzeitig könnte man das Thema Abrüstung ansprechen: Der Kreml schlägt also vor, über das Schicksal der Welt als Ganzes zu sprechen.“

Abbas Galliamow (RU) /

Selenskyj holt derweil Erdoğan ins Boot

Politologe Abbas Galliamow sieht auf Facebook im zeitgleich stattfindenden Türkei-Besuch von Selenskyj einen geschickten Schachzug:

„Auch wenn Trump Selenskyj nicht an einen Tisch mit dem russischen Präsidenten eingeladen hat, wird der ukrainische Staatschef dank seines Dialogs mit der Türkei nun unsichtbar dabeisitzen. Egal, worauf sich Trump und Putin einigen, sie müssen eine Pause einlegen: 'Aber schauen wir erst mal, was Selenskyj und Erdoğan beschlossen haben'. Das gilt zum Beispiel bei Friedenstruppen oder eben jenen Seltenen Erden. Wenn Amerikaner und Russen sich zum Beispiel auf eine Einladung von Brasilianern und Chinesen als Friedenstruppen einigen, Selenskyj aber die Türken einlädt – dann hat man ein Problem. Dann muss man sich auch mit Selenskyj einigen.“

Visão (PT) /

Ohne Europa gehen die Gespräche ins Leere

Europas Engagement verhindert, dass die Position der Ukraine bei einem Deal zwischen den USA und Russland übergangen wird, meint Visão optimistisch:

„Selenskyj mag vorübergehend einen wichtigen Verbündeten verloren haben, aber er hat ein starkes Europa gewonnen, das Kyjiw in der Union sehen will und bereit ist, Verteidigungs- und Sicherheitsgarantien zu geben. Die Russen und die Amerikaner können in Riad noch so viel reden, sie werden nicht mehr als Statisten sein, die die Kontrolle über Krieg und Frieden verloren haben.“