Droht ein neues Zeitalter des Imperialismus?
Russlands Krieg gegen die Ukraine, Chinas Drohgebärden gegenüber Taiwan und nun Donald Trumps Äußerungen zu Grönland, dem Panamakanal und in Richtung Kanada: Sie haben Befürchtungen geweckt, die Welt könne vor einem neuen Kampf um Einflusssphären stehen wie im 19. Jahrhundert, das von Expansionsstreben und Kolonialismus geprägt war. Europas Presse diskutiert den Platz, den der Kontinent in einer solchen globalen Konkurrenz hätte.
Neuauflage des "Great Game" in der Arktis
Europa muss dem territorialen Appetit der Großmächte Paroli bieten, schreibt der Historiker Rui Tavares in Expresso:
„Das 21. Jahrhundert ist für Trump, Putin (und Xi Jinping) wie das 19. Das 'Great Game' findet diesmal in der Arktis statt. Es ist eine Welt, die von Männern regiert wird, die sagen, dass sie nicht an die globale Erwärmung glauben, aber in Wirklichkeit darauf zählen, dass sie neue Routen und Zugang zu neuen Mineralien bekommen, wenn das Eis schmilzt - und es schmilzt schnell. ... Wenn die kleinen und mittleren Länder nicht zeigen, dass sie es ernst meinen, werden sie von den revisionistischen Supermächten verschlungen. Nein, Trumps USA sind kein Verbündeter Dänemarks oder Europas. Aber Europa ist nur machtlos, wenn es das will.“
Mit der Macht des Europarechts dagegenhalten
El País fordert die EU zu geschlossenem Widerstand auf:
„Die Europäer sollten getrennte Verhandlungen mit Trump vermeiden: Sie würden alle geschwächt, auch wenn sie einen vorübergehenden Vorteil hätten. Der designierte US-Präsident will die Nato abschaffen und die EU-Institutionen auf der internationalen Bühne außer Gefecht setzen, um die gesamte strategische Autonomie Europas aufzuheben – darin ist er sich mit dem Kreml einig. Er weiß, dass gerade das Imperium der Regeln und Gesetze, das die EU darstellt, diejenigen stoppen kann, die das Völkerrecht missachten. ... Angesichts dieser neuen imperialen Idee dient ein unilaterales Kleinbeigeben niemandem. Nur die Einheit der 27 und funktionierende Institutionen und Verträge können die Zukunft der EU garantieren.“
Das Gespenst des Triumphalismus geht um
Trumps Äußerungen über die Vereinnahmung von Grönland und dem Panamakanal verheißen nichts Gutes, fürchtet Népszava:
„Die größte Gefahr besteht darin, dass verrückte Ideen zu einem selbstverständlichen Teil des öffentlichen Diskurses werden ... Der Hass erobert die Seelen fast unmerklich; die Idee des Triumphalismus, des Besiegens anderer, kann für breite Massen attraktiv werden. Anstatt dass US-Politiker Trumps Erklärung geschlossen zurückweisen, wetteifern viele Republikaner darum, wer dem 'Friedens-Präsidenten' das beste Kompliment für seinen militaristischen Vorschlag machen kann. Wir wissen aus der Geschichte, dass das zu nichts Gutem führt.“
Wettlauf der Annexionen
Zeit Online-Kolumnist Michael Thumann sieht einen Trend:
„Die Größe des Territoriums als Maßstab nationalen Erfolgs kehrt zurück. Wirtschaft und Militär werden zu den Mitteln seiner unaufhörlichen Erweiterung. ... Für Herrscher wie Putin und Trump ... zählt das 'Territoriometer', die Quadratkilometer auf der Landkarte verbunden mit der Frage: 'Wer hat am meisten?' Die Antwort: Wladimir Putin. Und trotzdem hat er den Wettlauf der Eroberungen und Annexionen 2014 neu eröffnet. Wenn jetzt Trump auf dieselbe Logik einschwenkt, dann bricht ein neues globales Zeitalter des Imperialismus an. Vielleicht ähnlich, aber nicht genauso wie im 19. Jahrhundert, als die europäischen Großmächte im Wettlauf um immer mehr Territorium in der ganzen Welt standen und fremde Kontinente kolonisierten. “
Ortsnamen werden zu Herrschaftszeichen
Donald Trump hat vorgeschlagen, den Golf von Mexiko in "Golf von Amerika" umzubenennen. Um dies international durchzusetzen, wird es einen Kampf um Online-Plattformen und deren Landkarten geben, warnt der Geograf Frédéric Giraut in Le Monde:
„Es dürfte niemandem entgangen sein, dass Donald Trumps territoriale Ansprüche von einer Offensive seines Verbündeten Elon Musk gegen kollaborative Plattformen, insbesondere Wikipedia, begleitet werden, welche den Zielen des gewählten Präsidenten im Bereich des Wissens und des geteilten Wissens im Wege stehen könnten. ... So steht die Toponomastik [Ortsnamenskunde] an der Spitze eines umfassenden imperialistischen Projekts mit unermesslichen Folgen und könnte, sofern sie ernst genommen wird, ein wichtiges Warnsignal sein.“