Charlie Hebdo macht weiter
Eine Woche nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo erscheint die neue Ausgabe des Satiremagazins am heutigen Mittwoch mit einer Rekordauflage von weltweit drei Millionen Exemplaren. Einige Kommentatoren loben die Redaktion, weil sie die Freiheit verteidigt und gleichzeitig ein Zeichen der Versöhnung sendet. Andere finden, dass die Journalisten erneut den nötigen Respekt vermissen lassen.
Eine würdige Versöhnungsbotschaft
Die neue Ausgabe von Charlie Hebdo zeigt auf dem Titelbild einen weinenden Propheten, der ein "Je suis Charlie"-Schild trägt. "Tout est pardonné" - Alles ist vergeben - lautet die Überschrift. Die liberal-konservative Tageszeitung Svenska Dagbladet bescheinigt der Redaktion Fingerspitzengefühl: "Dies ist eine Titelseite, der es auf hervorragende Weise gelingt, eine verzeihende Versöhnungsbotschaft zu vereinen mit Bestimmtheit und Rückgrat. Die Zeitung weicht keinen Deut ab von ihrem eindeutigen Recht, wen oder was auch immer abzubilden und zu karikieren. Gleichzeitig setzt man ein Zeichen gegen die Terroristen. Man weigert sich, zu ihrem polarisierenden Krieg beizutragen. ... Und man betont, dass es keinesfalls so sicher ist, dass sich der Prophet Mohammed über die Taten freut, die Terroristen in seinem Namen begehen. Ein eleganter Balanceakt, der die Sache genau trifft."
Der wahre Islam ist brüderlich
Lob für das Cover erhält Charlie Hebdo auch von der linksliberalen Tageszeitung Libération, in deren Räumen die Ausgabe entstanden ist: "Die Titelseite von Charlie zeugt von politischer Intelligenz. Viele haben eine Provokation erwartet, andere Zurückhaltung befürchtet. Nichts von alledem. Der Prophet Mohammed wird dargestellt, aber in einer positiven Rolle, mit einem Hauch von Zärtlichkeit. Mohammed sagt 'Ich bin Charlie'. Das heißt nichts anderes, als dass der wahre Islam brüderlich und auf Gleichheit ausgerichtet ist. Er ist vom kriegerischen Erbe des Korans gereinigt, über das heutzutage nicht Religionsgelehrte, sondern unwissende Mörder verfügen. Die wahre Karikatur des Propheten sind die Islamisten selbst. Der wahre Islam jedoch ist der, den die Masse der Gläubigen in Frankreich lebt. Er hat seinen Platz in der Republik."
Es lebe Charlie!
In ihrer Mittwochsausgabe druckt auch die liberale Zeitung Le Soir die Titelseite und einige andere Karikaturen aus dem aktuellen Charlie Hebdo ab. Denn der Journalismus lebt weiter, findet das Blatt: "Heute ist der berühmte Charlie zurück an seinem Platz: nicht in den Nachrichten, sondern am Kiosk, in Büchereien, in den Briefkästen seiner Abonnenten. Die Überlebenden des Magazins, die von der Redaktion der Tageszeitung Libération aufgenommen (und beschützt) wurden, haben sich zusammengetan, um ihre Zeitung wieder herauszubringen. Denn was uns nicht tötet, macht uns stärker. Das Nichterscheinen des Titels wäre für die Opfer wie ein zweiter Tod gewesen, ungleich schmerzvoller noch in ihren Augen, den Augen von Kämpfern und freien Menschen. Die Frage ist nicht, ob wir mit dem französischen Satiremagazin in jeder Hinsicht einverstanden sind. ... Es geht darum, ein Prinzip zu verteidigen. Wir reihen uns damit ein in all die, die ausrufen: Charlie ist nicht tot, das Leben geht weiter wie bisher."
Noch immer mangelt es an Respekt
Mit der Gestaltung ihrer neuen Ausgabe lassen die Macher von Charlie Hebdo leider erneut den Respekt vor den Gefühlen von Muslimen vermissen, klagt die linksliberale Tageszeitung The Indepedent: "Wenn eine Gesellschaft funktionieren soll, müssen Rechte und Verantwortung abgewogen werden. Freiheit ist die eine Seite der Medaille. Speziell beim Recht auf freie Meinungsäußerung ist Respekt die andere Seite. Wir sollten nicht zwanghaft alles tun, um einen Teil der Gesellschaft zu beleidigen und zu verletzen, nur weil wir auf unserem unveräußerlichen Recht bestehen, zu sagen, was wir wollen. In dieser Hinsicht ist das Charlie-Hebdo-Cover von dieser Woche besonders verstörend für all diejenigen von uns, die eine liberale Gesinnung haben. Wir werden beim Schutz unserer hoch geschätzten und in den kommenden Jahrzehnten immer stärker gefährdeten Freiheiten erfolgreicher sein, wenn wir von diesen nun in respektvoller Art und Weise Gebrauch machen."