Eskalation im Schuldenstreit
Nach der Ankündigung des griechischen Premiers Alexis Tsipras, das Volk über die Reformauflagen der Gläubiger abstimmen zu lassen, will die Eurogruppe das Hilfsprogramm für Athen zum Dienstag beenden. Tsipras hatte keine andere Wahl als ein Referendum abzuhalten, meinen einige Kommentatoren. Andere bemängeln, dass dieses nur scheinbar demokratisch ist.
Gläubiger trieben Tsipras zum Referendum
Das Volk entscheiden zu lassen, ist der einzige Ausweg, den die Geldgeber Alexis Tsipras noch gelassen haben, urteilt der US-amerikanische Ökonom Paul Krugman in der linksliberalen Tageszeitung La Repubblica: "Syriza hat sich bisher in einer politisch misslichen Lage befunden: Wähler, die gleichermaßen erbost waren über die stetig wachsenden Sparforderungen, wie auch abgeneigt, den Euroraum zu verlassen. Diese beiden Tendenzen miteinander in Einklang zu bringen, war immer schon schwierig, und ist es heute erst recht. Das Referendum wird die Wähler zwingen, ihre Prioritäten zu setzen und Tsipras ein Mandat verleihen, das zu tun, was er tun muss, sollte die Troika die Situation weiter zuspitzen. Die Regierungen und die Geldgeber haben eine ungeheuerliche Torheit begangen, indem sie Tsipras bis zu diesem Punkt trieben. Doch sie haben es getan, und ich kann Tsipras beim besten Willen nicht dafür tadeln, sich den Wählern zuzuwenden statt den Gläubigern.“
Unklarer Volksentscheid nur Scheindemokratie
Alexis Tsipras hat die Entscheidung des Athener Parlaments, kommenden Sonntag ein Referendum über die Sparvorgaben der Troika abzuhalten, als wichtigen Schritt für die Demokratie seines Landes bezeichnet. Die konservative Wirtschaftszeitung Naftemporiki zweifelt, dass es diese Funktion erfüllen kann: "Der Premier hat den Weg des Referendums gewählt, der als höchster demokratischer Prozess eine Lösung für diesen kritischen Moment des Landes bringen soll. Aber wird es tatsächlich diese Funktion haben? … Die Abstimmung über ein Abkommen, das noch nicht abgeschlossen ist und Dutzende von Steuermaßnahmen und andere komplizierte Sachen beinhaltet, deren Details wir nicht kennen und wir nicht alle verstehen können, kann nicht in eine klare Frage gefasst werden. ... Um die Bürger in die Lage zu versetzen, Verantwortung zu übernehmen, sollte die Regierung - vor allem aber auch der Rest der politischen Welt - verantwortungsvoll und ehrlich erklären, was für Auswirkungen ein Ja oder Nein hat."
Finanzminister begingen taktischen Fehler
Die Finanzminister der Eurozone haben mit ihrem Beharren darauf, das derzeitige Hilfsprogramm am morgigen Dienstag auslaufen zu lassen, dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras in die Hände gespielt, meint Kolumnist Wolfgang Münchau in der wirtschaftsliberalen Tageszeitung Financial Times: "Der mit Abstand größte taktische Fehler des vergangenen Wochenendes war die Weigerung der Finanzminister der Eurozone, die Frist für das Hilfsprogramm für Griechenland um fünf Tage, über die Volksabstimmung hinaus zu verlängern. Mit dieser Entscheidung haben sie die einzige Möglichkeit verhindert, die Sache am Laufen zu halten. Sie haben, ohne dies zu beabsichtigen, die politische Argumentation des griechischen Regierungschefs gestärkt. Denn der kann nun behaupten: Zunächst wollten die Kreditgeber mit dem Sparprogramm die griechische Wirtschaft zerstören. Und nun hoffen sie, die griechische Demokratie zu vernichten."
EU presst Griechenland bis zum Ende aus
Die drohende Staatspleite in Griechenland ist eine europäische Bankrotterklärung, meint die liberale Tageszeitung Kurier: "Die Wirtschaftsleistung ist um ein Drittel zurückgegangen. Wer noch Arbeit hat, verdient um 50 Prozent weniger. Drei Millionen Griechen haben keine Sozialversicherungen. Ein Viertel der Bevölkerung und über die Hälfte der Jungen sind ohne Arbeit, viele davon seit Beginn der Krise. ... Das soziale Elend hat längst einen Höhepunkt erreicht. Jetzt stehen die Griechen vor dem totalen Bankrott. Niemand wird glauben, dass der irgendetwas löst. Es ist vielmehr anzunehmen, dass die Not noch größer wird. Und das alles, weil wir drauf beharren, ein Land, das bewegungslos am Boden liegt, weiter auszupressen. Dabei macht das aus humanitären als auch aus ökonomischen Gründen überhaupt keinen Sinn. Wenn die EU-Politik nur will, findet sie Auswege, das hat sie seit 2009 oft genug bewiesen. Und unsere Botschaft - Banken mit Hunderten Milliarden retten Ja, Staaten retten Nein - die gefährdet die Projekte EU und Euro viel mehr, als es korrupte Griechen je zusammenbringen würden."
Grexit gibt Athen Souveränität zurück
Nach der Ankündigung des Referendums in Griechenland hält die konservative Tageszeitung Die Welt einen Grexit für ebenso wahrscheinlich wie hilfreich: "Erstmals seit Ausbruch der Schuldenkrise gibt es eine realistische und mit Blick auf die Finanzmärkte verkraftbare Chance für einen Grexit. Dieser Schritt könnte sich für beide Seiten als Befreiung aus einer aus vielen Gründen zerrütteten Beziehung erweisen. ... Mit einer eigenen Währung haben [die Griechen] langfristig eine bessere wirtschaftliche Perspektive und gewinnen ein Stück ihrer Souveränität zurück, die sie so schmerzlich vermissen. In den anderen Euro-Staaten gibt es zwar gleichfalls Widerstand gegen den Konsolidierungskurs, doch es überwiegt die Einsicht, dass nur ein wettbewerbsfähiges Europa eine Zukunft hat. Gescheitert ist nicht Merkels Euro-Kurs - sondern der wiederholte Versuch, Griechenland die unabdingbaren Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der Währungsunion schmackhaft zu machen."