Türkei bombardiert IS und PKK
Die türkische Armee fliegt seit Freitag Luftangriffe gegen die IS-Terrormiliz in Syrien und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK im Nordirak. Am Dienstag will die Nato auf Antrag Ankaras über die Situation beraten. Kommentatoren fordern eine klare Position des Militärbündnisses gegenüber ihrem Mitglied Türkei und erklären sich die Angriffe mit innenpolitischen Motiven.
Nato braucht eine klare Türkei-Strategie
Die Nato muss eine klare Position gegenüber ihrem Mitglied Türkei finden, auch was den Kampf gegen die Terrorgruppe IS betrifft, fordert vor den Beratungen des Militärbündnisses am Dienstag der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk: "Die Interessen des Bündnisses liegen eindeutig bei der Bekämpfung des IS-Terrors. Politisch hat die Nato nicht nur die Pflicht zum Beistand, sondern auch das Recht darauf, dass sich die Türkei so bündnisfreundlich wie möglich verhält. Da unterstützen Nato-Partner die Kurden im Nordirak, deren Stellungen gleichzeitig von der Türkei angegriffen werden. So zerfasert das geschlossene Bild der Nato. Dem muss die Allianz nun entgegenwirken. Sie sollte klar machen, dass der Kampf gegen den IS gemeinsam geführt werden muss. Da muss die Nato geschlossen stehen. Aber der Kampf muss kreativ geführt werden. Nur mit Bombern kann diese Terrorgang nicht besiegt werden."
Ankara spielt mit dem Feuer
Die Entscheidung der Türkei, sowohl die Terrorgruppe IS als auch die PKK anzugreifen, ist äußerst bedenklich, findet die liberale Tageszeitung Dagens Nyheter: "Die Türkei riskiert nun einen Zweifrontenkrieg, der in der Realität ein Konflikt zwischen drei Parteien ist. Hier schlummert der Auslöser für eine regionale Kernschmelze. Den größten Schaden könnten in diesem Konflikt die Kurden nehmen, die derzeit mit verschiedenen Milizgruppen am Boden den stärksten Widerstand gegen den IS leisten. Der Balanceakt der Türkei, sich einerseits vom IS zu distanzieren und andererseits die Kurden zu bekämpfen, birgt die Gefahr, den Widerstand gegen die Islamisten zu schwächen. Außerdem werden die USA dadurch gezwungen, zwischen dem Natomitglied Türkei und den Kurden als Alliierten am Boden zu lavieren. Die Türkei trägt eine große Verantwortung. Der Kampf gegen den IS darf nicht von nationalen und parteipolitischen Sonderinteressen unterhöhlt werden."
Erdoğan bereitet sich auf Neuwahlen vor
Wahltaktik ist der alleinige Grund für die türkischen Angriffe auf PKK-Stellungen, erklärt der linksliberale Tages-Anzeiger: "Bei der Parlamentswahl Anfang Juni kam die [kurdennahe] HDP auf 13 Prozent der Stimmen. Das hat die politische Landschaft verändert. Erdoğans islamisch-konservative AKP hat die absolute Mehrheit verloren. Das Ergebnis der Wahl hat die Türkei aber auch in eine tiefe Krise gestürzt. Erdoğan hat es nicht eilig, die Macht zu teilen. Die Regierungsbildung hat er so lange wie möglich hinausgezögert. In der Opposition will keine Partei mit der AKP zusammengehen - so stark ist dort der Hass auf sie. Die HDP hat von Anfang an Verhandlungen ausgeschlossen, die Ultranationalisten von der MHP sehr früh. Die säkulare CHP als grösste Oppositionspartei führt zwar noch Gespräche, glaubt aber auch nicht mehr an eine Einigung. So kommt Erdoğan seinem eigentlichen Ziel näher. Er will Neuwahlen. Und es sieht danach aus, dass er sie bekommt. Nun bereitet er das Klima dafür vor."
PKK nutzt Machtvakuum nach Wahl
Die PKK hat am Samstag erklärt, dass die seit 2013 weitgehend anhaltende Waffenruhe nach den Angriffen des türkischen Militärs auf Stellungen der PKK im Nordirak keine Bedeutung mehr habe. Indes werden im Südosten der Türkei in diesen Tagen immer wieder Anschläge verübt, zum Teil hat sich die PKK zu diesen bekannt. Es ist kein Zufall, dass die PKK den Friedensprozess in Zeiten der Koalitionsgespräche aufkündigt, kommentiert die regierungsnahe Tageszeitung Sabah: "Die PKK erklärt dem Staat den Krieg zu einem Zeitpunkt, zu dem ihrer Meinung nach ein Machtvakuum herrscht. Das war ihr größter Irrtum. Ein mit 52 Prozent gewählter Staatspräsident ist im Dienst und dominiert den Prozess. Die das Land seit Jahren leitende und mit allen Akteuren des Staates insbesondere mit dem Präsidenten erfolgreich zusammenarbeitende Regierung ist immer noch im Amt, wenn auch nur vorübergehend. ... Wir sollten nicht vergessen, dass wir erst in einem Umfeld, in dem es keinen Terror gibt und nicht mit Gewalt gedroht wird, von einem wirklichen Frieden, einer wirklichen Lösung sprechen können."