Übergangsregierung für die Türkei gesucht
Nach der gescheiterten Regierungsbildung hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Dienstag Premier Ahmet Davutoğlu mit der Bildung eines Übergangskabinetts beauftragt. Die Oppositionsparteien CHP und MHP wollen sich an diesem nicht beteiligen. Dass damit nur die kurdennahe HDP als Partner infrage kommt, könnte für Davutoğlu zum Problem werden, meinen einige Kommentatoren. Andere mahnen, dass Ankara dringend Stabilität braucht.
AKP muss jetzt mit dem Feind kooperieren
Dass nur die kurdennahe linke HDP als Partner für eine Übergangsregierung zur Verfügung steht, stellt ein Dilemma für Premier Davutoğlu dar, analysiert die liberale Tageszeitung Hürriyet Daily News: "Nach der Erklärung, dass der Friedensprozess mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nach Terrorakten und massiven Militärschlägen eingefroren wurde, hatte [Präsident] Erdoğan erklärt, dass die HDP die 'politische Verlängerung der separatistischen Terrororganisation' sei. Es wird nicht sehr leicht für Davutoğlu, eine Partnerschaft mit der HDP zu verteidigen, zu einer Zeit, in der an jedem zweiten Tag die Beerdigungen von Soldaten und Polizisten die ersten Seiten der Zeitungen bestimmen."
Erdoğan könnte den Notstand ausrufen
Der Boykott des türkischen Übergangskabinetts durch die beiden größten Oppositionsparteien könnte Präsident Erdoğan dazu zwingen, die Neuwahl zu verschieben, warnt die linksliberale Tageszeitung Der Standard: "Die Rückkehr in die 1980er- und 1990er-Jahre, als die Armee im Südosten des Landes Krieg gegen die kurdische Guerilla und die eigene Bevölkerung führte, ist ein Albtraum für die Türken. Widerstand regt sich jetzt bereits angesichts der täglichen Toten. Staatspräsident Erdoğan und seine wie Marionetten funktionierenden Minister und Parteifunktionäre werden für den Gewaltausbruch verantwortlich gemacht: Erst haben sie vollmundig die Lösung der Kurdenfrage versprochen, dann den Kampf 'bis zum Ende'. Dazwischen lag eine Wahlniederlage. Die Kurdenpartei HDP brachte Erdoğans Partei um die Mehrheit. Doch die Neuwahlen, die der Staatschef erzwungen hat, könnten ein Debakel werden. Im Allparteienkabinett werden wohl nur Erdoğans Partei und die Kurden sitzen; die anderen boykottieren. Schlecht für Erdoğan. Gut möglich, dass er den Notstand ausruft und die Wahlen verschiebt."
Gerade jetzt bräuchte Ankara Stabilität
Nichts könnte die Türkei jetzt besser gebrauchen, als innenpolitische Stabilität, erinnert die liberale Tageszeitung NRC Handelsblad: "Das Land kämpft mit großen Problemen im In- und Ausland, aber muss nun bis zu den Parlamentswahlen von einer Interimsregierung geleitet werden. Dabei ist die Türkei in einen komplexen Krieg verwickelt, einerseits gegen den Islamischen Staat in Syrien und andererseits gegen die kurdische PKK im Irak. Im eigenen Land ist der Friedensprozess mit den Kurden am Ende und die Gewalt bricht wieder aus. In diesem Jahr werden 1,9 Millionen Flüchtlinge erwartet. Und um die Wirtschaft ist es auch nicht gut bestellt. ... Unter diesen Umständen braucht die Türkei dringend eine stabile Regierung mit einem demokratischen Mandat. Doch es ist unsicher, ob die Wahl am 1. November dazu führen wird."