Juncker fordert Solidarität in Flüchtlingskrise
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat am Mittwoch vor dem Europaparlament die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, weitere 120.000 Flüchtlinge innerhalb der Union zu verteilen. Junckers Plan findet die Balance zwischen dem, was humanitär erforderlich und wirtschaftlich möglich ist, loben einige Kommentatoren. Andere verlangen klarere Regeln zur Zuwanderung.
Kompromiss zwischen Humanismus und Nüchternheit
Die Vorschläge des Kommissionspräsidenten stellen einen guten Kompromiss dar, lobt die konservative Tageszeitung Financial Times: "Die Flüchtlingskrise hat in der gesamten EU eine Reihe tiefer und komplexer Emotionen geschürt. Juncker bietet nun einen Zugang, der zugleich nüchtern und menschenfreundlich ist. Seinem Plan zufolge erkennt die Gemeinschaft an, dass sie nicht imstande ist, Millionen von Wirtschaftsflüchtlingen, die ein besseres Leben in Europa suchen, ein Zuhause zu bieten. Doch getreu ihren humanitären Traditionen wird die EU jene willkommen heißen, die durch Krieg und Gewalt vertrieben wurden. Nach viel Streit und Verwirrung hat Juncker Europa nun den richtigen Weg gewiesen."
Dem Quotengefeilsche ein Ende setzen
Ein Quotensystem zum Verteilen der Flüchtlinge reicht allein nicht aus, erinnert die linksliberale Wirtschaftszeitung Cinco Días: "Die neue Einstellung der großen europäischen Hauptstädte ist gut und richtig, reicht aber nicht aus. Mehrere Länder, darunter Spanien, sperren sich noch immer gegen den Vorschlag der Kommission, den Aufnahmemechanismus permanent und verpflichtend zu machen und so das peinliche Feilschen zu verhindern. ... Allerdings reicht auch ein fester Verteilungsschlüssel allein noch nicht. Die EU muss auch die Bestimmungen und die Finanzierung des Asylrechts abstimmen und zentral umsetzen. Es gilt dieselbe Antwort, die auch für andere Politikbereiche drängt: Man braucht mehr Europa, viel mehr Europa in allen Bereichen, damit die EU wieder zu Höchstform aufläuft und Bestnoten in Effizienz, Solidarität und Rückhalt bei den eigenen Bürgern erhält."
Zuzug braucht Regeln
Junckers Vorschlag zur Verteilung von weiteren 120.000 Flüchtlingen in der EU ignoriert die Haltung der Einwohner der Mitgliedstaaten zur Migration, kritisiert die rechtsliberale Tageszeitung Berlingske: "Leider deutet in Junckers Rede nichts darauf hin, dass die EU-Kommission verstanden hat, dass die Bevölkerung eine Kontrolle des Zustroms wünscht. … Er hat keine Stellung zu den Einwänden einer ganzen Reihe von nicht nur osteuropäischen Mitgliedsländern bezogen. Nämlich, dass keine Asylanträge von Leuten, die sich illegal in die EU gekämpft haben, behandelt werden sollten. Dass wir nur den Zustrom wachsen lassen. Juncker schlug auch vor, Asylbewerbern vom ersten Tag an eine Arbeitsgenehmigung zu erteilen. ... Sicher fehlt es in der EU an qualifizierten Arbeitskräften, und es macht Sinn, sich an gut ausgebildete Syrer zu wenden. Aber das muss in kontrollierter Form mit einer 'Greencard' geschehen und nicht, weil einige sich den Weg illegal erkämpfen."
Sinn für Realität nicht verlieren
Nun wollen die Länder also doch Flüchtlinge aufnehmen, wundert sich die liberale Tageszeitung Corriere del Ticino: "Die Union, verzaubert von den Entscheidungen ihrer einzig wahren Führungskraft Angela Merkel, legt in der Flüchtlingsfrage eine allzu schwankende Politik an den Tag. ... Doch ist es unzulänglich, diese Schwankungen nur mit der großen Emotion zu erklären, die ein symbolhaftes Foto hervorgerufen hat und dessen Folge die außerordentliche, humanitäre Geste von Merkel war. Die Wende Europas, das lange Zeit der Tragödie im Mittelmeer gegenüber gleichgültig blieb, die bisher 2500 Menschen das Leben gekostet hat, muss mit Abstand und kühlem Verstand analysiert werden. Der Sinn für Realität darf nicht verloren gehen. Um zu vermeiden, dass Populismen und Nationalismen geschürt werden. ... Und auch um den Migranten eine tragbare Integration zu garantieren, die die Rechte aller respektiert."