Einladung zum Wettlauf nach Österreich
Einen Ansturm von Flüchtlingen, die die Grenze in letzter Minute erreichen wollen, erwartet nach der Wiener Entscheidung der linksliberale Standard:
„Bei einem solchen Wettlauf nach Österreich würde das Jahreslimit schon weitaus früher erreicht werden, als es Innenministerin Johanna Mikl-Leitner derzeit prognostiziert. Und der Flüchtlingsstrom würde auch dann nicht sofort abreißen. Dieser Plan ist eine Einladung an Flüchtlinge, sich möglichst rasch auf den Weg zu machen. Wer den Flüchtlingsstrom bremsen will, sollte für flexible Richtwerte eintreten, die von Maßnahmen zur Beschränkung von Asylanträgen begleitet werden. Das wäre zwar auch vielen Kritikern der 'Obergrenzen' zu restriktiv. Aber die neue Position der Bundesregierung ist noch schlechter: Offenbar ist es ihr wichtiger, der Öffentlichkeit Entschlossenheit vorzuspielen, als wirksame Wege zur Entlastung des Landes zu suchen.“
Heute Obergrenze - übermorgen zurück aufs Meer
Wer, wie Österreichs Regierung, die Flüchtlingszahl mit Obergrenzen eindämmen will, muss den Gedanken auch zu Ende denken, findet die liberale Tageszeitung De Standaard:
„Eine Welle muss man mit Mauern und Deichen eindämmen. ... Doch das funktioniert nicht. Denn warum soll man 30.000 aufnehmen, wenn es auch 20.000 sein könnten oder sogar nur 5.000? Wenn es doch um eine Welle geht und nicht um Individuen, gegenüber denen wir Europäer eine ethische Verantwortung haben sollten? ... Angela Merkel hat weise vorhergesagt, dass die Asylkrise eine fundamentale Bedrohung für das europäische Projekt ist. Heute geht es um Obergrenzen, morgen um große Lager, übermorgen um das Zurückschicken aufs Meer. Denn wenn man über eine Welle redet, dann klingt es doch redlich, diese abzuwehren.“
Wiens Entscheidung bedroht Stabilität auf Balkan
Nun drohen weitere unkoordinierte Grenzschließungen, die ganz Europa teuer zu stehen kämen, fürchtet die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung:
„Österreich [hat] eine Kettenreaktion beschleunigt, die spätestens mit Schwedens Kehrtwende im Dezember begann. Wien seinerseits reagierte darauf, dass Deutschland täglich mehrere hundert Personen an der Grenze zurückweist. ... Angesichts der sich überschlagenden Ereignisse droht auf dem Balkan eine unkoordinierte Grenzschliessung. ... Es wäre verantwortungslos, und das nicht nur unter moralischen Gesichtspunkten, wenn die reichen westeuropäischen Länder das Flüchtlingsproblem auf die Länder des Westbalkans abschieben würden. Die Spannungen würden massiv steigen in einer Region, die nach den Jugoslawienkriegen erst mühsam wieder zusammenwächst. Auch die europäische Stabilisierungspolitik auf dem Westbalkan, massgeblich durch die Migrationsbewegungen der neunziger Jahre motiviert, würde unterlaufen.“
Nur Dublin-Reform kann Dominoeffekt stoppen
Durch die Entscheidung Österreichs droht ein Dominoeffekt, fürchtet die liberale Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore und drängt auf eine Überarbeitung des Dubliner Abkommens, um das zu verhindern:
„Die derzeitige Rechtsprechung sieht vor, dass das Land, das der Flüchtling zuerst betritt, für die Aufnahme zuständig ist. Die Regel wird de facto längst von Ausnahmen widerlegt. Zum einen hat Deutschland die Grenzen geöffnet und so die Regeln gebrochen. Zum anderen haben die 28 EU-Länder prinzipiell der Quotenverteilung von 160 000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland zugestimmt. Nur scheitert die Quotenverteilung bisher am Widerstand einzelner Staaten. Die Reform der Dublin-Verordnung ist somit dringend erforderlich, nicht zuletzt um die aktuelle Gesetzeslücke zu schließen. Mangels einer Übereinkunft auf europäischer Ebene, besteht die Gefahr eines Dominoeffekts. Die Verweigerung der Einreise würde die Flüchtlinge nach und nach immer mehr in den Süden des Kontinents treiben. “
Österreichs Erfolg hängt weiter von Europa ab
Trotz der Obergrenze wird Österreich für eine erfolgreiche Flüchtlingspolitik von anderen abhängig sein, prophezeit die christlich-liberale Tageszeitung Salzburger Nachrichten:
„Ein Erfolg der neuen Flüchtlingspolitik hängt nicht nur von Österreich ab, sondern auch von unseren europäischen Partnern. Und von der Weltpolitik. Werden die Asylsuchenden weiterhin von der Türkei bis [zum österreichisch-slowenischen Grenzübergang] Spielfeld durchgewinkt, wird Österreichs Asylpolitik scheitern. Weigert sich der Großteil der EU-Länder weiterhin, seinen Anteil an den Flüchtlingen aufzunehmen, wird Österreichs Asylpolitik scheitern. Geht der Zerfall staatlicher Strukturen in Teilen des Nahen und Mittleren Ostens und Afrikas weiter, wird Österreichs Asylpolitik scheitern. Jegliche Asylpolitik ist eine Gratwanderung zwischen dem grundrechtlich Gebotenen und dem politisch Machbaren. Ein Absturz auf dieser Gratwanderung ist nicht erlaubt, aber leider möglich.“
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