Jugendgewalt: Was lehrt uns die Serie Adolescence?
Die im März veröffentlichte Serie Adolescence über den 13-jährigen Jamie, der eine Mitschülerin ermordet hat, wirft einen verstörenden Blick auf Gewalt unter Jugendlichen und die Auswirkungen der sozialen Medien. In Großbritannien soll die Netflix-Produktion nun flächendeckend an Schulen gezeigt und diskutiert werden. Europas Medien haben die Debatte schon aufgenommen.
Ein erster Schritt zu mehr Sicherheit
Die Entscheidung, die Serie in Schulen zu zeigen, muss in eine breitere Strategie eingebettet werden, findet The Independent:
„Jamie wird nicht vernachlässigt oder misshandelt. ... Seine Taten sind vielmehr das Ergebnis extrem frauenfeindlicher Einstellungen im Internet, die sich an Jungen richten, sobald sie auf ihr Handy schauen oder ihren Computer einschalten. Jungen werden vor unseren Augen radikalisiert. ... Die Serie in Schulen zu bringen, ist ein wichtiges und positives Projekt, das von der unglaublichen Aufmerksamkeit profitiert, die die Serie erregt hat. Aber es darf nur der erste Schritt in einem umfassenden Plan zur Finanzierung, Bereitstellung von Ressourcen und Expertise sein, der mit der gleichen Dringlichkeit angegangen werden muss, wie jede andere Bedrohung der Sicherheit unserer Kinder.“
Starmer will vor allem gute Schlagzeilen
The Spectator kommentiert:
„Die Entscheidung, den Film in Schulen zu zeigen, wirkt weniger wie ein durchdachter Plan als vielmehr wie eine reflexartige Reaktion auf einen Medienhype. ... Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Pläne für einen reibungslosen Ablauf ausgearbeitet wurden. Wie wollen Lehrer sicherstellen, dass Adolescence die ohnehin schon gefährdeten Jungen nicht noch weiter stigmatisiert? Sind Lehrer und Eltern darauf vorbereitet, wie sich diese düstere Serie auf die Psyche der Kinder auswirken wird? ... Starmer ist verzweifelt auf der Suche nach guten Schlagzeilen, und Netflix will offensichtlich mehr Hype für seine Inhalte. Aber wenn der Premier die Serie 'erschütternd' fand, warum ist er dann so cool bei der Entscheidung, sie anderen zu zeigen?“
Wenigstens reden und denken wir mehr
Die Serie hat immerhin dazu geführt, dass man sich um die Jugendlichen Gedanken macht, so Protagon:
„Konstant saugen sie Giftigkeit, Härte, Wildheit von allen Seiten auf. ... Εine apathische Wildheit. Von den wildesten, schrecklichsten Zeichentrickfilmen bis zu den giftigen sozialen Medien, die Vorbilder schaffen, sämtliche Werte zu verhöhnen. ... Aber Rotkäppchen war auch eine wilde Horrorgeschichte. Warum haben wir sie nicht als solche wahrgenommen? ... Auf einmal reden wir viel. Zumindest mehr als vorher. Wir denken nach. Mehr als vorher. Wir schauen anders auf die geschlossene Tür seines oder ihres Zimmers – denn wir haben einen Grund dafür bekommen. Den hat uns Adolescence gegeben.“
Erstarrte Dynamik durchbrechen
Die Serie sollte den Eltern einen Denkanstoß geben, findet Sol:
„Einsamkeit, Komplexe, Unsicherheit und Sinnlosigkeit breiten sich in dieser Generation wie Unkraut aus. ... Wir sind uns nicht wirklich nahe. Wir lernen uns nicht kennen, wir schaffen keine gemeinsamen Gewohnheiten und wir lassen unbewusst zu, dass die tägliche Dynamik aufhört, dynamisch zu sein. ... Wenn es keine tägliche Interaktion gibt, keine Gespräche, keine Diskussionen, keine Konflikte, und wenn Grenzen nicht in kontrollierten Umgebungen erreicht werden, wie in unserem Zuhause und mit unserer Familie, dann wird diese Erfahrung außerhalb und auf unkontrollierte Weise gemacht.“
Kreuzverhör und Handyverbot sind keine Lösung
Magyar Hang schreibt:
„Die Netflix-Serie zeigt, wie denkbar einfach das Rezept ist: Man soll für den anderen da sein; das Kind respektieren, damit es die Erwachsenen auch respektiert. Man muss darauf achten, was es mag und was es gut kann, und ihm nicht aufzwingen, was wir für gesellschaftlich akzeptabel halten. ... Man muss mit dem anderen reden, wie es Detective Bascombe und sein Sohn am Ende von Folge zwei tun. ... Wer meint, man müsse dem Teenager nur das Gerät wegnehmen, um alles wieder in Ordnung zu bringen, hat nichts von der ganzen Geschichte verstanden. Und wer glaubt, man könne einen Teenager per Kreuzverhör in die Enge treiben und alles über seine Gefühle herausfinden, der hat kaum verstanden, was es heißt, ein fühlender Mensch zu sein.“