Schweiz stimmt gegen schnelle Abschiebungen
Die Schweizer haben sich dagegen ausgesprochen, Ausländer künftig schon bei geringen Vergehen abzuschieben. In einem Referendum am Sonntag lehnten rund 60 Prozent eine entsprechende Initiative der rechten Schweizer Volkspartei ab. Kommentatoren feiern das Ergebnis als Sieg der Vernunft.
Bürger wehren sich gegen rechte Zündler
Das Votum ist eine weise Entscheidung der Bürger, lobt die liberal-konservative Tageszeitung Le Temps:
„Die Wahlbeteiligung war dank eines Aufschreis der Zivilgesellschaft hoch; so als hätten viele Akteure etwas aus dem Votum über die Beschränkung der Freizügigkeit vor zwei Jahren gelernt. Die Aufklärungsarbeit vor Ort, in Medien und sozialen Netzwerken, hat sich bezahlt gemacht. Was die Schweizerische Volkspartei am Sonntag vorgeschlagen hat, war Festzelt-Demokratie. Die Bürger haben den Weg der Weisheit dem der Populisten vorgezogen, die politische Pyrotechnik betreiben. Warum hätte man auch einen Text ändern sollen, der vom Parlament bereits verabschiedet worden war, ein strenges, aber gerechtes Gesetz, das den Richtern den Spielraum lässt, jede Situation individuell zu beurteilen und somit ihre Aufgabe weiterhin zu erfüllen?“
Votum gegen den Zeitgeist
Der Verstand hat in der Schweiz gesiegt, lobt das liberale Onlineportal Zeit Online:
„Der 28. Februar 2016 ist ein großer Tag für die Schweiz - und für Europa. In einer Zeit, in der die Europäische Union an der Flüchtlingskrise zu zerbrechen droht, in der gewählte Regierungen ihre Politik häufig am Boulevardgebrüll oder Stammtischradau ausrichten, sie Zäune errichten und Obergrenzen festnageln, weil das Volk das anscheinend so will; in dieser Zeit stemmt sich ein Land gegen den Zeitgeist. Und seine Stimmbürger tun, was von allen verlangt wird, die Souveränität ausüben: Sie wenden Augenmaß an, setzen sich mit der Materie auseinander - und benutzen ihren Verstand. Nicht mit der Angst im Nacken oder der Furcht in den Knochen, sondern mit Mut.“
SVP spaltet dennoch weiter
Dass die SVP-Initiative gegen schnellere Abschiebungen im Referendum am Sonntag chancenlos blieb, freut die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung. Die Schweiz sieht sie dennoch gespalten:
„So weit, so beruhigend. Allerdings liefert der Abstimmungssonntag auch Anschauungsmaterial für einen zweiten, nicht minder konsistenten Trend. Lanciert die SVP eine Initiative in den Bereichen EU und Ausländer, findet sie eine Zustimmungsrate, die deutlich über ihren Wähleranteil hinausgeht. Bei Parlamentswahlen erreicht sie knapp ein Drittel der Stimmen, bei Initiativen hingegen oft eine Mehrheit. Die der Selbstvergewisserung der politischen Mitte dienende Parole von der '70-Prozent-Schweiz' trifft bei den Themen Europa und Migration nicht zu. Hier existiert trotz dem Verdikt vom Wochenende eine 'Halbe-halbe-Schweiz'.“