Neue Chance für Frieden auf Zypern?
Die Verhandlungen zu einer Lösung für das seit 1974 geteilte Zypern in der Schweiz haben laut UN bedeutende Fortschritte erzielt. Sie sollen am 20. November in Genf fortgeführt werden. Hardliner auf der zyperngiechischen Seite werden eine Einigung verhindern, meinen einige Kommentatoren. Andere plädieren für mehr Optimismus.
Hardliner werden Einigung verhindern
Die Unterbrechung der Verhandlungen soll auf Wunsch des zyprischen Präsidenten Anastasiadis vereinbart worden sein, der sich zunächst mit den Parteien zuhause beraten will. Doch in diese Gespräche sollte er nicht zu viele Hoffnungen setzen, warnt Cyprus Mail:
„Wir vermuten, dass die von ihm verlangte Pause in erster Linie darauf abzielte, die Situation zuhause zu meistern und die unvermeidlichen wütenden Reaktionen der Parteien unter Kontrolle zu halten, die eine Lösung ablehnen. Außerdem kann er dann hinterher behaupten, dass er den Nationalrat [überparteiliches Beratungsgremium zur Zypern-Frage] konsultiert hat, bevor er die Kriterien [für das Abkommen mit den Zyperntürken] festlegte. ... Doch er überschätzt seine Kräfte, wenn er glaubt, er könne mit diesem taktischen Manöver die Hardliner auf seine Seite bringen. Die Zeit, an der Heimatfront zu gewinnen, indem er einen Balanceakt vollbringt und sich an die Hardliner wendet, ist vorbei. Das wird er erfahren, wenn er den Nationalrat befragt.“
Optimismus am Leben erhalten
Für mehr Optimismus angesichts der Zypern-Gespräche plädiert Cumhuriyet:
„Auf der Befürworter-Seite stehen jetzt Anastasiadis und [der Präsident der nicht-anerkannten Republik Nordzypern] Mustafa Akıncı, der sich immer für eine Lösung eingesetzt hatte. Akıncıs Wille zu einer Lösung ist stark, aber die Wahrnehmung, das letzte Wort liege in Ankara, scheint unüberbrückbar. Wird es andererseits Anastasiadis gelingen, der nächstes Jahr die Wahl-Prüfung bestehen muss, den Unwillen des zyperngriechischen Volkes und den Widerstand der Opposition zu brechen? Schaut man sich die letzten Umfragen auf der griechischen Seite an, sieht es danach aus. ... An Pessimisten fehlt es nicht, aber dies ist eine Phase, in der man versucht, den Optimismus am Leben zu erhalten. Denn sollte es diesmal zu einer Blockade kommen, ist klar, dass die Türkei Nordzypern annektieren wird. Deshalb werden die Befürwortet einer Lösung nicht müde zu sagen, das Wichtigste sei Mut.“
Annexion Nordzyperns ist Erdoğans Plan B
Falls diese Gespräche scheitern sollten, könnte Nordzypern ein ähnliches Schicksal wie der Krim-Halbinsel blühen, prophezeit Cyprus Mail:
„Wir mögen zwar nie einen Termin vereinbart haben, doch der türkische Präsident Erdoğan hat seine eigene Frist zum Ende des Jahres gesetzt, was Präsident Anastasiadis vergangenen Sonntag betont hat. ... Erdoğan hat - anders als die zyperngriechische Seite - einen Plan B für den Fall, dass kein Abkommen bis zum Ende dieses Jahres geschlossen wird. Kommendes Jahr plant er ein Referendum über den Status des Nordens - wie es auf der Krim stattfand - im Hinblick auf dessen Annexion. Als Teil dieses Plans hat die Türkei auch einen Vertrag zur Stromlieferung in den Norden unterzeichnet; 26.000 Staatsbürgerschaftsanträge von Türken, die wegen der Gespräche auf Eis gelegt worden waren, könnten im nächsten Jahr genehmigt werden.“
Wiedervereinigung ist nicht die beste Lösung
Die internationale Gemeinschaft geht mit dem falschen Ziel in die Zypern-Verhandlungen, meint Hürriyet Daily News:
„Trotz des Widerstrebens der Zyperngriechen, einen neuen Partnerschaftsverband auf der Basis von politischer Gleichheit, zwei Zonen und zwei Gemeinschaften zu schaffen, und der Forderung der Zyperntürken, einen eigenen Staat zu haben, besteht die internationale Gemeinschaft aus einem seltsamen Grund darauf, dass beide Seiten heiraten müssen. Doch weder der eine noch der andere will das. Beide wollen ihren eigenen Weg gehen. Warum bestehen die Außenstehenden dann auf dieser Heirat? ... Während die Gespräche auf Mont Pèlerin zum Scheitern verurteilt scheinen, wird es doch weder eine Annexion noch einen Stillstand geben. Vielleicht werden die beiden Seiten endlich anfangen, über eine sanfte Scheidung zu reden.“
Mit Wiedervereinigung die Türkifizierung stoppen
Angesichts reger Bautätigkeit in Nordzypern ist Cyprus Mail der Ansicht, die Wiedervereinigung der geteilten Insel müsse dringend erfolgen, damit die Zyperngriechen das Land zurück erhielten:
„Unsere politischen Zwerge behaupten, dass es keine letzten Chancen gibt und deshalb auch keinen Grund zur Eile. ... Ich weiß nicht, ob sie jemals Kyrenia [in Nordzypern] besucht haben. Aber auch wenn sie nie dort gewesen sind, kann ich nicht glauben, dass sie nie gehört haben, nie gefragt haben, nie informiert wurden, was dort vor sich geht, vor allem seit [der gescheiterten Wiedervereinigung] 2004. Wenn man mit der harten Realität konfrontiert wird, die jeder erkennt, der den Norden besucht, würden nur Menschen, die aus einer psychiatrischen Klinik entkommen sind, behaupten, dass verlorene Chancen ein Mythos sind. ... Sogar ein Kind kann bei einem Spaziergang durch Kyrenia erkennen, dass wir bereits 'türkisch' geworden sind.“
Angst vor der Wiedervereinigung
Bis zu einer Wiedervereinigung der Insel muss sich in den Köpfen der Zyperngriechen noch vieles ändern, fürchtet Politis:
„Die Vorstellung eines Zusammenlebens, der Koexistenz, erzeugt Angst. Es war nicht immer eine Priorität der politischen Führung, die Kultur des gegenseitigen Verständnisses und Respekts zu fördern. Als wir zur Schule gingen und es viele Straßensperren gab, weil gegen die türkische Besatzung demonstriert wurde, hat uns niemand gesagt, dass der Zyperntürke nicht unser Feind ist, sondern derjenige, mit dem wir zusammenleben werden - nach der Lösung, nach der wir so laut riefen. … Zudem erschreckt es, dass die Zyperngriechen möglicherweise die Zyperntürken wirtschaftlich Huckepack nehmen müssen. Und niemand sagt, dass die Teilstaaten ein gewisses Maß an Autonomie haben werden. … Und wie soll man denn nicht erschreckt sein? ... Hat irgendjemand ein ruhiges, realistisches und nüchternes Bild des wiedervereinigten Zyperns gezeichnet?“
Zyperngriechen steuern in Katastrophe
In der Frage der Sicherheit scheint es die größten Differenzen bei den Verhandlungen zu geben. Der zyperntürkische Verhandlungsführer Mustafa Akıncı besteht darauf, dass auch nach einer Wiedervereinigung die Türkei Garantiemacht des Nordens bleibt. Für die zyperngriechische Tageszeitung Simerini ist das untragbar:
„Das ist keine Wiedervereinigung, was Akıncı aushandelt, sondern eine Spaltung. Er diskutiert nicht den Abzug der türkischen Armee, sondern ihre Legitimierung. Er will zwei verschiedene Staaten etablieren. … Was Akıncı 'Fortschritt' nennt, bedeutet, dass die Zyperngriechen von der Insel abwandern. Wenn der türkische Staat die Entscheidungsgewalt darüber hat, ob er Militärhilfe auf die Insel bringt, wenn die Teilhabe der Zyperntürken an der Politik größer ist, als es ihrem Anteil in der Bevölkerung entsprechen würde, wenn der zyperngriechische Flüchtling, der [in den besetzten Norden] nach Hause zurückkehrt, vor einer Horde von Siedlern steht, die auf ihn mit Steinen und Stöcken warten, dann ist dies keine Lösung. Es ist eine Katastrophe.“
Türken müssen sich nicht alles gefallen lassen
Eine Friedenslösung sollte von der Türkei unterstützt werden, wenn auch nicht bedingungslos, findet die türkische Tageszeitung Karar:
„Die technischen Hindernisse, die eine Lösung der Zypernfrage behindern, werden ausgeräumt, doch die politischen Hindernisse werden leider bleiben. ... Die Türkei unterstützt den Friedensprozess, da vor allem die Zyperntürken ihn wollen und vermeidet damit, den Preis einer Blockade zu zahlen und den bestehenden Problemen noch weitere hinzuzufügen. Klar ist auch, dass die Erwartung, von den Kohlenwasserstoffvorkommen im Mittelmeer profitieren zu können, eine Rolle für die anhaltende Unterstützung spielt. Doch die Unterstützung der Türkei sollte nicht als gegeben vorausgesetzt werden. Wenn die Uno und natürlich auch die Zyperngriechen wirklich eine Lösung wollen, sollten sie die Interessen der Zyperntürken berücksichtigen, die auch die Erwartungen der Türkei enthalten.“
Zypern wird ein Protektorat
Mit dem schlimmstmöglichen Ausgang der Verhandlungen rechnet die Tageszeitung Phileleftheros:
„Eine ganze Nation wird abhängig von anderen Nationen sein. Die Nation der Zyprioten. Besser ausgedrückt: das Protektorat der Zyprioten. Wir werden die Grenzwächter Griechenlands und der Türkei spielen. Zyperntürken und Zyperngriechen werden gegenüber wohnen, und ihr Leben, ihr Wohlstand und ihr Frieden werden abhängig sein von der Stimmung Ankaras, von einem ausländischen Richter oder anderen unklaren Regelungen, die uns in den 60er Jahren in die Abenteuer [den Bürgerkrieg] führten. ... Was für ein Unsinn ist das, was da gerade diskutiert wird. Und wie weit sind diese Ideen von dem Annan-Plan entfernt, der vor zwölf Jahren mit einem Referendum durch die Zyperngriechen abgelehnt wurde. Präsident Anastasiades sagt, das, was gerade diskutiert wird, sei besser als der Annan-Plan. Nun, glauben wir ihm. Es war jedoch Annan selbst, der damals sagte, dass wenn wir den Plan ablehnen, der nächste Plan schlimmer sein wird.“
Eine Lösung ist zum Greifen nah
Optimistisch blickt der Kolumnist Ulaş Barış in der Zeitung Kıbrıs Postası auf die Verhandlungen, angesichts eines aktuellen Angebots von Exxon-Mobil, Erdgas vor Zypern zu fördern:
„Würde so ein riesiges US-Unternehmen ein Angebot unterbreiten, wenn es in Zypern keine Aussicht auf eine Lösung geben würde? … Würden neben Exxon andere Konzerne aus Frankreich, Italien, Katar und Norwegen ihre Angebote abgeben? Natürlich nicht. Die Lösung der Zypernfrage ist nicht nur für die Zyprioten entscheidend, sondern auch für eine Reihe von Ländern, angefangen bei der Türkei, strategisch bedeutend, um die natürlichen Vorkommen der Region nutzen zu können. Ob manche von uns das wollen oder nicht: Die Lösung steht bevor. ... Der Status quo von 1974 wird einem neuen Entwurf weichen. All das werden wir kurzfristig bis zum 26. September, mittelfristig mit der Fünfer-Konferenz bis Ende November und langfristig mit einem Referendum im März 2017 erleben.“
Zyperngriechen führen Verhandlungen zum Schein
Die Friedensverhandlungen werden zu keinem Ergebnis führen, egal wie kompromissbereit sich Mustafa Akıncı als Verhandlungsführer der nordzyprischen Seite gibt, glaubt der auf Zypern geborene Kolumnist Jusuf Kanlı in Hürriyet Daily News:
„Griechische Zyprioten haben noch nicht akzeptiert, dass der zu erreichende Deal zugleich ein Primärgesetz der EU werden muss. Das ist fundamental, andernfalls könnten alle Abweichungen vor Gericht angefochten werden. Akıncı glaubt, dass sein Amtskollege wirklich eine Kompromisslösung erreichen wird. Er verteidigt, dass wenn Anastasiades nicht aufrichtig an einer Lösung interessiert sei, dies innerhalb ein oder zwei Monaten klar würde. Er erkennt bloß nicht, dass Anastasiades die Verhandlungen so lange wie möglich weiterführen will, weil eine Fortführung der Gespräche zu einem Muss geworden ist, damit ausländische Direktinvestitionen und ausländische Energiedeals weitergehen können.“
Mit türkischen Faschisten keine Lösung möglich
Mit der heutigen Türkei können die Zyperngriechen keinen Frieden schließen, meint der zyperntürkische Kolumnist Şener Levent in Politis:
„Schauen Sie sich die Lage in der Türkei an und die Garantien, auf die die türkische Seite [in den Verhandlungen] besteht. Wir stehen einer Diktatur gegenüber, vergleichbar mit der Diktatur von Saddam Hussein. Ein Staat, der sich gegen das Gute, das Schöne, gegen die Ehrlichkeit stellt. Voller Täuschung und Betrug. ... Und aggressiv ist. Ein Eroberer. Mit Gefängnissen, die mit ehrlichen Menschen und Intellektuellen gefüllt sind. Ein Feind von Minderheiten. Mit diesem Land sollen wir Frieden machen? Sie können sagen: 'Der Faschismus in der Türkei interessiert uns nicht, uns interessiert nur unsere eigene Sache.' Das überrascht mich. Haben sie jemals einen Faschisten getroffen, der nicht Schaden um ihn herum verursacht hat?“