Wahlkampf in Frankreich - wer macht das Rennen?
Laut aktuellen Umfragen würde Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron die Vorsitzende des Front National, Marine Le Pen, in der Stichwahl um das Präsidentenamt besiegen. Der konservative Kandidat Fillon kommt nach den Enthüllungen um ihn nur noch auf den dritten Platz im ersten Wahlgang - und damit nicht bis zur Stichwahl. Kommentatoren prüfen das Wahlprogramm des Favoriten kritisch.
Macron ist ein lauwarmer Kandidat
Seit Macron am Freitag einen Großteil seines Programms bekannt gegeben hat, hat er an Profil verloren, findet Slate:
„Emmanuel Macron steht in der Mitte. Er verspricht erst den Konservativen etwas, nämlich 60 Milliarden Einsparungen, und dann den Sozialisten, nämlich einen Plan für Investitionen. ... Das ist alles ziemlich platt. Die Mitte ist langweilig. Das Gleichgewicht sieht zu sorgfältig abgewogen aus. Der junge Kandidat, der bisher in den Himmel gelobt wurde, fällt in den Sumpf, sobald es darum geht, konkret zu werden. In dieser Etappe hat Macron kein Profil, keine Kraft, es gelingt kein Höhenflug, das Zentrum ist geschmacksneutral. Macron ist wie eine Leuchtrakete, die im Wasser landet.“
Frankreichs Probleme werden bleiben
Unabhängig vom Wahlergebnis in Frankreich, wird das Land auch weiter unter strukturellen Schwächen leiden, glaubt The Independent:
„Letztlich wird sich keiner der Kandidaten entschlossen mit der ökonomischen Realität befassen. Trotz ihrer Plattitüden hat keiner der Anwärter einen genauen Plan artikuliert, um Frankreichs erstarrtes Wachstum, die hohen Schulden, andauernd schwachen öffentlichen Finanzen, seine schlechte Wettbewerbsfähigkeit oder die Notwendigkeit für große strukturelle Reformen des Arbeitsmarkts, der Regulierungen und des öffentlichen Sektors anzugehen. Selbst die Politik des Front National sieht die Schuld für Frankreichs Probleme in externen Faktoren. Das Problem ist, dass Frankreich ein relativ wohlhabendes Land bleibt. Momentan glauben die Franzosen, dass die Kosten für den Erhalt des Status quo geringer sind, als die Schmerzen von Reformen. Unabhängig vom Ergebnis werden die französischen Wahlen 2017 die Unsicherheit vorantreiben.“
Macron schafft bislang Unmögliches
Emmanuel Macron legt mit seiner Bewegung En Marche! derzeit in den Umfragen stetig zu. Il Sole 24 Ore ist beeindruckt:
„Zweifelsohne ist Macron bereits der Star einer neuen Ära, in der die Übermacht der Parteien gebrochen und die Politik offener und beweglicher ist, in der es eine (scheinbar) direkte oder zumindest direktere Demokratie gibt und in der die Zivilgesellschaft in der Kommandozentrale sitzt. Er hat als erster gezeigt, dass es in Frankreich einen politischen Raum außerhalb der traditionellen Parteienlandschaft gibt … Sicherlich ist ihm Hilfe zuteil geworden und dies nicht zu knapp: Durch eine sozialistische Partei, die ein weiteres Mal den Selbstmord gewählt hat. Durch den Sieg eines eher radikalen Kandidaten bei den Vorwahlen der Konservativen. Durch das Fehlen eines Mitte-links-Kandidaten. ... Potenziell kann er alle gemäßigten Stimmen auf sich vereinen. Und wenn das genügen sollte, um in die Stichwahl zu kommen, dann kann er tatsächlich Präsident werden.“
Streit beim Thema Einwanderung unausweichlich
Frankreichs Einwanderungspolitik ist in diesem Jahr ein entscheidendes Wahlkampfthema, erklärt Politikwissenschaftler Jérôme Sainte-Marie in Le Figaro:
„Die zweite Debatte für die Vorwahlen der Sozialisten hat Eines deutlich gezeigt: Die Ankunft der vielen Asylbewerber, und die Tatsache, dass man weiterhin Flüchtlinge mit Migranten verwechselt, verleiht denen eine Stimme, die finden, Frankreich müsse seine Grenzen aus humanitären, wirtschaftlichen und demographischen Gründen weit öffnen. Diesen Standpunkt findet man im linken Lager, aber auch bei gewissen liberalen Politikern. Doch bei den meisten Franzosen stößt er auf Unverständnis oder sogar Unwillen. Die meinen nämlich zu zwei Dritteln, dass es zu viele Immigranten im Land gibt.“
Begeisterung für Macron wird bald nachlassen
Die Wahlkampfveranstaltungen von Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron sind derzeit bestens besucht. Doch der Gründer der Bewegung En marche! könnte seine Anhänger bald enttäuschen, glaubt Libération:
„Er bietet ein Sammelbecken für die Hirngespinste und Ängste derer, die nicht mehr an die alte Politik glauben, sich aber gegen [den Kandidaten der linken Bewegung La France Insoumise] Mélenchon oder Le Pen sträuben. Und da kommen einige zusammen. Da er das Talent hat, das zu sagen, was viele hören wollen, wird er immer beliebter. Diese Anpassungsfähigkeit, die weit über eine an die Mitte gerichtete Politik hinausgeht, ließ ihn eines der erstaunlichsten Phänomene in Frankreichs Politik werden. ... Wenn sich die Debatte zuspitzt, wird er sich allerdings zu konkreten und richtungsweisenden Maßnahmen äußern müssen. Er darf dann nicht mehr ausweichen. … Jedes Mal, wenn er antwortet - und das wird er sich nicht nehmen lassen -, riskiert er, einen Teil seiner Anhängerschaft zu verstimmen, denn seine Gegner werden das Augenmerk auf seine Widersprüchlichkeit lenken.“
Linke schielen schon auf 2022
Letztlich haben die Linken in Frankreich bei der diesjährigen Präsidentschaftswahl keine Chance, analysiert der Frankreich-Experte Bence Cseke in Magyar Idők:
„Angesichts der aktuellen politischen Situation ist zu vermuten, dass keiner der linken Kandidaten ins Präsidentenamt gelangen wird. Gerade deshalb wird es bei der Wahl 2017 für den Kandidaten der Sozialisten, aber wohl auch für Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, den Begründer der Bewegung En marche!, nicht darum gehen, in die Stichwahl zu kommen. Stattdessen werden sie versuchen, sich im Wahlkampf positiv in Szene zu setzen, um die Grundlage dafür zu schaffen, sich bei den Wahlen im Jahr 2022 als charismatischer Retter der Linken zu positionieren. Wobei ein heftiger Schlagabtausch zwischen den Sozialisten und dem von ihnen als 'Brutus des 21. Jahrhunderts' bezeichneten Macron entbrennen dürfte.“