Macron liebäugelt mit Präsidentschaft
Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron hat sich am Dienstag in einer Rede beim ersten Meeting seiner Bewegung En marche ! als Präsidentschaftskandidat ins Spiel gebracht. "Uns kann nichts mehr aufhalten, wir tragen diese Bewegung bis 2017, bis zum Sieg", rief er seinen Anhängern zu. Kann der Außenseiter den Wahlkampf entscheidend beeinflussen?
Kakophonie der Linken hilft den Konservativen
Der französische Wirtschaftsminister muss aufpassen, dass sein Schuss nicht nach hinten losgeht, warnt Libération:
„Macron verbessert seine Chancen in dem kleinen Kreis der künftigen Präsidentschaftskandidaten und demonstriert Organisationsgeschick sowie rhetorisches Talent. Auf diese Weise verleiht er dem linken Liberalismus, über den sich die Wächter des sozialistischen Tempels so ärgern, eine Stimme und ein Gesicht. ... Er hat das Recht, seine Ideen zu verteidigen. Bedingung ist jedoch, dass diese Musik nicht in den Ohren wehtut. Es ist gut, verschiedene Instrumente in einem Orchester zu haben. Vorausgesetzt, sie spielen im gleichen Takt. Am Nationalfeiertag, weniger als ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl, muss die Blaskapelle ihre Posaunen stimmen. Tut sie das nicht und sorgt für Chaos, erleichtert sie ein wenig mehr den Wahlsieg der Rechten.“
Macron spricht Franzosen aus dem Herzen
Der Plan des Gründers der En marche-Bewegung könnte aufgehen, glaubt das Handelsblatt:
„[Macron] spricht vielen Franzosen aus dem Herzen: weil er die Wirklichkeit des Landes erfasst, das ein riesiges Potenzial hat, aber gelähmt ist von seinen selbstverliebten, in der Vergangenheit verhafteten Politeliten. ... [Die Franzosen] ertragen die Rituale der Linken und der Rechten nicht mehr, die von Motten zerfressene Ideologien aus dem Schrank holen, um wieder und wieder ein überholtes Duell nachzuspielen. ... Im Gegensatz zu ihnen verlangt Macron einen Realitätstest von der Politik und steht zu Europa. Deshalb wird die Wahlkampagne anders, unberechenbar werden, auch wenn er selbst nur eine minimale Chance hat zu gewinnen. Was er nun liefern muss, sind Lösungen. Die Rolle des Tribuns, der keine Partei führt, sondern nur die Stimme des Volkes ist, trägt ein paar Monate. Dann muss er sagen, was er selber will.“
Ideologiefreiheit ist eine Illusion
Einer aktuellen Umfrage zufolge ist Wirtschaftsminister Emmanuel Macron der Politiker, den die Franzosen sich am häufigsten als linken Präsidentschaftskandidaten wünschen. Das liberal-konservative Magazin Le Point erklärt, warum Macron so gut ankommt:
„Er entspricht genau dem diffusen Wunsch in unserem Land, dass Ideologien und deren Konfrontation überwunden werden sollen. Er sagt, er suche sowohl im rechten als auch im linken Spektrum nach guten Ideen. Das ist jedoch eine Illusion. Zu denken, dass man die ideologischen Gegensätze in allen Bereichen überwinden kann, ist eine gefährliche Vorstellung: Von der Wirtschaft über die Außenpolitik bis hin zu gesellschaftlichen Fragestellungen sind gegensätzliche Ansichten nicht nur unausweichlich, sondern für das Funktionieren der Demokratie notwendig. Dass die Linke in Sachen Wirtschaft liberal sein kann, hat nichts Häretisches und ist nichts Neues. In ihren Rängen gibt es brillante Vorläufer in diesem Bereich, so zum Beispiel den Ökonomen Jean-Marc Daniel. Macron ist auf allen Gebieten ein echter Progressiver - was nichts anderes heißt, als dass er eine Ideologie hat.“
Ein Aufbruch ist möglich
Emmanuel Macrons neue politische Bewegung En marche! und die Nachtproteste Nuit Deboutveranschaulichen den gleichen Bedarf nach einem Bruch und etwas Neuem, analysiert das linksliberale Wochenmagazin L'Obs:
„En marche und Nuit Debout sind zwei Seiten derselben Medaille: Das politische System, dessen Repräsentativität und Legitimität immer stärker infrage gestellt werden, ist am Ende. … Beide Bewegungen führen einen kulturellen Kampf, um das ausgediente System durch neuen Schwung zu verändern. Dass der Wirtschaftsminister auf der Place de la République mitcampen wird und dass die Aktivisten von Nuit Debout massenhaft der Bewegung 'En marche' beitreten werden, ist alles andere als sicher. Würde sich der derzeit im Trend liegende Slogan 'Bündelung der Kämpfe' durch eine Verbindung der jugendlichen Revolten von Macron und 'Nuit Debout' allerdings konkretisieren, müsste sich die alte (politische) Klasse ernsthaft Sorgen machen.“
Das Land braucht wieder klare Fronten
Dass Macrons Bewegung es gleich dem Front National ablehnt, sich ins Links-Rechts-Schema der Parteien einzuordnen, hält die liberale Wirtschaftszeitung La Tribune für einen Fehler:
„Die Gefahr ist, dass die Bürger bald nur noch zwischen zwei Bewegungen wählen können, die es ablehnen, sich rechts oder links einzuordnen: die eine aus rein wirtschaftlichen Gründen, die andere aus rein nationalen Gründen. Daher muss der Rechts-Links-Gegensatz wieder seine vollständige Bedeutung zurückerhalten, sich von der Idee einer auf wirtschaftlichen Phänomenen beruhenden Wahrheit trennen und die Debatte über die Wirtschaftspolitik des Landes wiederbeleben. Anschließend müssen die Bürger dann entscheiden. Was dem Land schadet, ist nämlich nicht das Links-Rechts-Schema an sich, sondern die Unfähigkeit der Politiker beider Lager, zu ihren Entscheidungen zu stehen und ihre Politik umzusetzen. Diese Debatte sowie die Einhaltung der aus dieser Debatte hervorgehenden Versprechungen machen die Demokratie lebendig.“