Soll Schweden anonyme Zeugenaussagen zulassen?
Angesichts eskalierender Gangkriminalität und sinkender Aufklärungsquoten fordern Schwedens Liberale, nach dem Vorbild Norwegens und Dänemarks vor Gericht anonyme Zeugenaussagen zuzulassen. Der sozialdemokratische Innenminister Anders Ygeman lehnt dies ab und plädiert stattdessen für den Ausbau von Zeugenschutzprogrammen. Auch Schwedens Kommentatoren sind uneins.
Nutzen solcher Aussagen ist nicht bewiesen
Anonyme Zeugenaussagen vor Gericht sind keine gute Idee, meint Sydsvenskan:
„Wenn die mangelnde Bereitschaft zur Mitwirkung an einer Gerichtsverhandlung aus dem Misstrauen gegenüber dem Rechtswesen und der Gesellschaft insgesamt erwächst, würde die Möglichkeit, anonym auszusagen, wohl nicht sonderlich viel bewirken. ... Anonyme Zeugen lassen uns gleich an eine Gesellschaft von Denunzianten denken. Ein altes, im Grunde selbstverständliches Prinzip besagt, dass der Angeklagte das Recht hat zu wissen, wer ihn anklagt. Will man dieses Prinzip aufgeben, sollte der erwartbare Nutzen schon offensichtlich sein. Das müssen diejenigen, die für anonyme Zeugen eintreten, erst einmal beweisen.“
Aufklärungsquote muss dringend erhöht werden
Svenska Dagbladet empfiehlt hingegen dringend, dem Vorschlag der Liberalen eine Chance zu geben:
„Man kann nicht die Augen davor verschließen, dass die Kriminalität immer brutaler wird. Gleichzeitig hat der Staat offensichtlich immer weniger Möglichkeiten, die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren. ... Allein in Malmö ermittelt die Polizei derzeit in elf ungelösten Mordfällen und 80 Mordversuchen. Zeugenschutzprogramme erscheinen angesichts der Situation der Polizei weder glaubwürdig noch erfolgsversprechend. ... Je mehr Morde ungelöst bleiben, weil Menschen sich nicht trauen, als Zeugen auszusagen, desto brüchiger wird das Argument, Anonymität sei eine große Gefahr für den Rechtsstaat.“