Tote Babys und Kinder im irischen Tuam
Auf dem Gelände des bis 1961 von der katholischen Kirche betriebenen Mutter-Kind-Heims im irischen Tuam haben Ermittler die Gebeine von fast 800 Föten, Babys und Kleinkindern gefunden. Ledige Schwangere kamen in Irland bis in die 1990er Jahre in solchen Einrichtungen unter und mussten oft Zwangsarbeiten durchführen. Die Kindersterblichkeit war Medien zufolge unverhältnismäßig hoch. Wie müssen Kirche, Staat und Gesellschaft mit dem Fall umgehen?
Kirche und Staat müssen Verantwortung übernehmen
Die Kirche muss mehr tun, als Entsetzen zu zeigen, schimpft Irish Independent und erinnert an deren mangelnde Zahlungsmoral bei früheren Schadensersatzforderungen im Fall von Kindesmissbrauch in kirchlichen Einrichtungen:
„Die Ordensgemeinschaften nennen dafür verschiedene Gründe, wie die Wirtschaftskrise, die zu einer Wertschwankung geführt hat. Doch die Kluft zwischen versprochenen und getätigten Zahlungen stellt die Absicht der Ordensgemeinschaften in Frage, ihrer Seite der Vereinbarung treu zu bleiben, die ihnen eine Reihe teurer Gerichtsverfahren und Zahlungen erspart hat. Die Rechnungsprüfer drängen das Bildungsministerium, die religiösen Ordensgemeinschaften in die Pflicht zu nehmen. Das Ministerium sagt, dass aktiv an Eigentumsübertragungen gearbeitet wird. Aber das ist die Sprache des öffentlichen Dienstes, bei der weder ein Ziel, noch ein Zeitpunkt festgesetzt wird. Die Verantwortung dafür, dass Überlebenden und Steuerzahlern Gerechtigkeit widerfährt, liegt bei den Ordensgemeinschaften und den offiziellen Stellen.“
Iren müssen sich den Spiegel vorhalten
Wer allein die Institution der Kirche für die Verbrechen verantwortlich macht, übersieht leicht die Menschen, die als Täter und Mitwisser Schuld tragen, gibt Irish Examiner zu Bedenken:
„Unrecht von der Art, wie es in Tuam geschah, wurde vom Verhalten und Schweigen der irischen Bevölkerung begünstigt und unterstützt. In der Erzählweise dieser Geschichte darf nicht verloren gehen, dass der Missbrauch und die Vernachlässigung von irischen Bürgern an irischen Bürgern ausgeübt wurde und dabei von irischen Bürgern erleichtert und geduldet wurde. Im Rückblick fällt es leicht, moralisch den Zeigefinger zu erheben. Aber das ohrenbetäubende Schweigen der irischen Öffentlichkeit bleibt bemerkenswert. ... Es gibt viele Lehren, die wir aus dieser schändlichen Geschichte ziehen und die uns aus der falschen Selbstzufriedenheit und Selbstgefälligkeit über unsere vermeintliche Fortschrittlichkeit herausreißen sollten. Die Gefahr der Entmenschlichung bleibt unerschütterlich bestehen.“
Kein wirklicher Schock mehr
Der vermeintliche Schrecken kann eigentlich nur noch gespielt sein, urteilt The Guardian kritisch:
„Wir wissen zu viel über den Missbrauch von Frauen und Kindern in der katholischen Kirche, um von Tuam noch schockiert zu sein. Ein Massengrab voller Kinder unverheirateter Mütter ist ein peinliches Mahnmal, während der Staat die Kirche noch immer dafür bezahlt, Schulen und Krankenhäuser zu betreiben. Hunderte von toten Babys machen es nicht gerade leicht, am Mythos eines abtreibungsfreien Irlands festzuhalten; sie deuten vielmehr darauf hin, dass die katholische Kirche Irlands schon immer Abtreibungen durchführte - die allerdings sehr spät und langsam von Nonnen eingeleitet wurden, nachdem die Kinder schon geboren waren. Während sich Irland auf ein mögliches Referendum zum Abtreibungsrecht und den strategischen Besuch des Papstes vorbereitet, könnte es an der Zeit sein, endlich nicht mehr so zu tun, als seien der moralische Bankrott und die Heuchelei der katholischen Kirche für uns etwas Neues.“