Triumph der Nationalisten auf Korsika
Die Nationalisten sind klare Sieger der Regionalwahl auf der französischen Mittelmeerinsel Korsika. Bereits nach dem ersten Wahlgang lagen sie mit über 45 Prozent klar vorn. Jetzt kamen sie auf 56,5 Prozent der Stimmen. Beobachter rechnen damit, dass die Forderungen der korsischen Nationalisten nun deutlich mehr Gewicht bekommen. Kommentatoren empfehlen Strategien zum Umgang mit Nationalismen.
Europa als Bollwerk gegen Nationalismus
Überall in Europa flammt momentan der Nationalismus neu auf, nicht nur in Katalonien und Korsika, beobachtet Le Soir:
„Sei es in Deutschland, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Belgien oder Ungarn, populistisch-identitäre Bewegungen verspritzen das Gift neuer Spaltungen und Grenzen, was jeden entsetzt, der ein klein wenig in Geschichtsbüchern gelesen hat. Allerdings stellt die EU ein Bollwerk dar gegen jene, die Ausgrenzung, Hass und Egoismus predigen. ... Europa definiert sich als in der Vielfalt vereint, und fördert die Vereinigung von Staaten und Bürgern verschiedener Kulturen und Sprachräume - und nicht die von Völkern mit irredentistischen [auf die Einheit von Ethnie und Staatsgebiet zielenden] Identitäten. Erst recht unterstützt es nicht diejenigen, die sich durch den Hass auf den Nachbarn neu zu definieren suchen, wie es dem Nationalismus eigen ist, der immer einen Feind braucht.“
Bürger verleihen Nationalstaaten ihre Macht
Warum sich Frankreich so schwer tut mit den korsischen Nationalisten, erklärt der Politologe Vincent Laborderie in Le Monde:
„Die Souveränität des Staats wird von der europäischen Konstruktion zwar nicht vollkommen infrage gestellt, aber zumindest herausgefordert. Dazu kommt nun noch eine innerstaatliche Konkurrenz [durch Autonomiebestrebungen], die die Staaten an eine unangenehme Wahrheit erinnert: sie sind nichts anderes als soziale Konstruktionen, und weder absolut noch ewig. Die Macht der Staaten beruht in demokratischen Gesellschaften allein auf der Legitimität, die die Menschen ihnen geben wollen. ... In multinationalen Staaten wie Kanada, der Schweiz oder Belgien sind die Institutionen dementsprechend gegliedert. Aber der französische Einheitsstaat, und vor allem sein Konzept vom Staat, der eine Nation ist, kann diese Diversität scheinbar nicht integrieren.“
Der Wolf im blau-weiß-roten Schafspelz
Der Sieg der Nationalisten wird ernste Konsequenzen für Frankreich haben, warnt Libération:
„Mit dem tadellosen Sieg der 'Natios' bei der Wahl am Sonntag beginnt eine neue Ära in der Geschichte der Republik: das immer noch jakobinische Frankreich wird Autonomie-Verhandlungen mit den neuen Abgeordneten aufnehmen müssen. Diese können früher oder später zur Unabhängigkeit der Insel führen. Denn auch, wenn die Sieger sich anders geben, und den Wolf mit einem blau-weiß-rot gestreiften Schafspelz verkleiden, ihr Ziel hat sich nicht geändert: Es geht darum, diese weit entfernte und nicht ganz französische Insel politisch vom Kontinent zu trennen. ... Das wird haarig. Zumindest einen Vorteil hat der Sieg der Unabhängigkeitsverfechter jedoch: der bewaffnete Konflikt wird beigelegt und auf das politische Parkett verlagert, wo Worte die Kugeln ersetzen.“
Ohne Konfrontation zum Erfolg
Die Katalanen sollten sich bei den Korsen eine Scheibe abschneiden, erklärt Der Standard:
„Die 'neuen' korsischen Autonomisten … setzen … auf eine Strategie, die keine offene Feindschaft mit Paris pflegt und gerade deshalb schrittweise zu Erfolgen führen soll - sollte es auch sehr lange dauern. Ähnlich wie im Baskenland oder ... in Südtirol sieht man in der Abkehr von Gewalt und in der Förderung eines mit Selbstbewusstsein betriebenen Diskurses eher ein Mittel zum Erfolg - prinzipiell eine kluge, auch zeitgemäße Strategie. Der Wahlerfolg für die korsischen Autonomisten gibt ihren Masterminds recht: Paris muss sich endlich ernsthaft mit ihren demokratisch legitimierten Forderungen auseinandersetzen und da und dort einlenken - oder zumindest glaubwürdige Gesprächsbereitschaft signalisieren.“
Das hat sich Macron selbst zuzuschreiben
Das ist nun die Quittung dafür, dass Macron die Insel vernachlässigt hat, murrt La Stampa:
„Seit seiner Wahl hat Macron der Insel keinen einzigen Besuch abgestattet und auch kein Wort über die Forderungen der Insulaner verloren. Damit nicht genug, wie der Politologe Jérome Fourquet unterstreicht: 'Die Rolle, die En Marche! für sich beansprucht, nämlich die traditionellen Parteien nach Hause zu schicken, wurde auf Korsika von den Separatisten übernommen'. Die Separatisten haben im Kampf gegen die korrupte Politik der Insel an Glaubwürdigkeit gewonnen (zumal die 'Macronisten' vor Ort in erster Linie aus recycelten Sozialisten bestehen). Zudem profitieren die Nationalisten von der sozialen Unzufriedenheit, denn Korsika ist die ärmste Region Frankreichs.“
Die Katalanen können von den Korsen lernen
Die korsischen Separatisten haben im Vergleich zu den katalanischen einen sehr viel besseren Sinn für die Realität, lobt El Periódico de Catalunya:
„Hier haben sich anscheinend Mäßigung und Realismus durchgesetzt. ... Das von den Nationalisten verfolgte Programm sieht derzeit vor, ein Autonomiestatut und eine eigene Legislative zu fordern, sowie die Anerkennung der korsischen Sprache als zusätzliche Amtssprache. Nicht einmal der Anführer der Separatisten, Guy Talamoni, zieht in der nahen Zukunft eine Abspaltung in Betracht. Die Einen wie die Anderen schätzen das Kräfteverhältnis im Vergleich zum Zentralstaat richtig ein. Und mit Recht will niemand den gegen Goliath verlierenden David spielen in einem Staat, der so zentralistisch ist wie kaum ein anderer.“