Die politische Kultur Ungarns vor der Wahl
Vor der Parlamentswahl in Ungarn scheint es kaum vorstellbar, dass die Regierungspartei Fidesz ihre Mehrheit verliert. In Umfragen kommt sie auf rund 50 Prozent. Die Sozialistische Partei MSZP erreicht nur knapp zweistellige Werte und streitet mit den anderen Oppositionsparteien noch immer über die Bildung einer Wahlallianz. Kommentatoren haben jegliches Vertrauen in die Parteien verloren.
Verrottendes Parteiensystem
Sowohl die politische Rechte als auch die Linken in Ungarn haben ihre Grundwerte vollends verraten, schimpft der Publizist Róbert Puzsér in Magyar Nemzet:
„Die linke Elite, die in Wahrheit seit den Anfängen von 1989/90 eine neoliberale Elite ist, hat es dank zäher Arbeit fertig gebracht, die Identität und die moralischen Grundlagen der ungarischen Sozialdemokratie nachhaltig zu zerstören. Die Linke ist heute nicht nur seelenlos, sie ist von innerer Fäulnis befallen. ... Orbán und Konsorten machen es der Linken im rechten politischen Spektrum nach. An der Oberfläche haftet noch klebriger Zuckerguss, innen jedoch fault es schon gewaltig. ... Orbáns System beruht auf dem Säen von Hass und institutioneller Korruption. Infolgedessen siecht die bürgerlich-konservative Welt in Ungarn dahin. Der Premier ist ein bösartiges Geschwür am Körper der Rechten.“
Zusammenprall entfesselter Gefühle
Die Hoffnung, die die Wähler noch vor sieben Jahren in Orbán setzten, wurden enttäuscht, konstatiert der Soziologe Zoltán Balázs in Heti Válasz:
„Als die Regierung Orbán 2010 an die Macht kam, hoffte man kurzzeitig, dass nun die hasserfüllte Polarisierung des Landes ein Ende findet und die politische Kultur Ungarns den Weg einer allmählichen Deeskalation und Normalisierung beschreitet. ... Diese Hoffnung erwies sich als naiv. Stattdessen ging die Regierung Orbán daran, das Land auf beispiellos aggressive Weise zu vereinnahmen und die politischen Gräben zu vertiefen. ... Im Ergebnis ist die politische Stimmung heute wieder dermaßen negativ aufgeladen, ja vergiftet, dass bei der Wahl weniger Parteiprogramme, Parteien und Parteiführer zusammenprallen werden, als vielmehr Emotionen von gigantischem Ausmaß.“