Dürfen oppositionelle Russen die WM feiern?
Die ausgelassene WM-Stimmung und die unerwarteten Siege der russischen Mannschaft haben viele Russen in Euphorie versetzt. Oppositionelle stürzt dies allerdings in ein moralisches Dilemma, weil es sie mit der Frage konfrontiert, ob die Freude über das russische Fußballfest sie automatisch zu Unterstützern Putins macht.
Wer Russland liebt, muss den Kreml nicht mögen
Der Moskauer oppositionelle Kommunalpolitiker Ilja Jaschin trennt in einem von newsru.com wiedergegebenen Facebook-Post nationale Gefühle von der Politik:
„Es ist okay, für die eigene Mannschaft bei einer WM zu fiebern. Das macht dich nicht zum Komplizen bei den Verbrechen der Beamtenoberschicht. ... Mit der Nationalflagge durch die Stadt laufen, den Landesnamen skandieren, ist ebenso in Ordnung. Auch deshalb wirst du nicht zum Anhänger der Machthaber. Sein Land lieben heißt nicht, dass du gleichzeitig die Regierung und den Präsidenten lieben musst. ... Es gibt eine erstaunliche Ähnlichkeit zwischen den radikalsten Oppositionellen und den Gefolgsleuten der Staatsmacht: Die einen, wie die anderen, setzen die Heimat und die Herrschenden gleich. ... Doch das ist so nicht. Regierungen wechseln, aber das Land bleibt.“
WM-Euphorie kann in Faschismus münden
Für den Wirtschaftsprofessor Sergej Medwedew ist die WM hingegen kein harmloses Fest, wie er in Echo Moskwy schreibt:
„Die WM ist zu einem Meilenstein auf dem Weg zur Post-Krim-Nation geworden, da sie das Regime legitimiert - dies auch in den Augen der Außenwelt, indem sie Russland vom Image der 'toxischen Macht' befreit. ... Die Periode der 'Normalisierung' der Krim und des späten Putinismus findet mit ihr den Abschluss. ... Dabei war das nur das Achtelfinale. Was passiert, wenn Russland ins Finale kommt? Ziehen dann Kosaken und Bürgerwehren durch die Wohnungen auf der Suche nach denjenigen, bei denen der Fernseher nicht läuft, die keine Trikolore auf die Wange gemalt haben und deren Posts zum Spiel nicht voller Versalien und Emojis sind? Faschismus liegt nicht darin, dass Sprechen verboten wird, sondern im Zwang, etwas zu sagen.“