Türkei bald nicht mehr im Ausnahmezustand?
Die türkische Regierung wird den seit zwei Jahren geltenden Ausnahmezustand am Mittwoch beenden. Er war nach dem Putschversuch im Juli 2016 verhängt worden. Die Türkei hat seit der Putschnacht ihre Widerstandsfähigkeit unter Beweis gestellt, meinen einige Kommentatoren. Andere glauben, dass das Land angesichts der neuen Machtfülle Erdoğans weiter in einer Art Ausnahmezustand bleiben wird.
Türken beweisen Widerstandskraft
Die türkische Nation hat letztlich gesiegt, triumphiert İbrahim Kalın, Berater von Präsident Erdoğan und Kolumnist in Daily Sabah:
„Während der letzten beiden Jahre wurden die gänzlich angemessenen Versuche der Türkei, weitere Putschversuche zu verhindern, von westlichen Journalisten aus dem Kontext gerissen. So entstand eine große Diskrepanz zwischen der Medienberichterstattung und den Tatsachen vor Ort. ... Alles in allem rückten wir, das türkische Volk, zusammen, und kamen wieder als Nation auf die Beine. Nichts wird jemals an dieser Tatsache etwas ändern. Heute ist die Invasion der Gülenisten in die Herzen und den Verstand aufrichtiger Leute vollständig beendet. Wir haben die Belagerung öffentlicher Einrichtungen und der Zivilgesellschaft unseres Landes durch die [Gülen-Bewegung] Fetö durchbrochen.“
Nur eine relative Entspannung
Mit dem Ende des Ausnahmezustands wird sich kaum etwas ändern, meint die Süddeutsche Zeitung:
„Es hat vor allem wirtschaftliche Gründe, dass Recep Tayyip Erdoğan, der frisch im Amt bestätigte Präsident, nun zum Normalzustand zurückkehren will: Das türkische Chaos hat Investoren verschreckt, sie sollen zurückgelockt werden. Aber was heißt Normalzustand? Erdoğan hat die Türkei in den vergangenen zwei Jahren umgekrempelt. Er hat ihr ein politisches System verpasst, das ganz auf ihn zugeschnitten ist. Die Opposition spricht von der 'Verlängerung des Ausnahmezustands mit anderen Mitteln'. Gerade erst hat Erdoğan weitere Dekrete verabschiedet, die ihm neue Befugnisse sichern. Gut möglich, dass das Ende des Notstands eine relative Entspannung bringt; dass nun aber alles gut wird, dass die bleierne Decke vollständig gelüftet wird, danach sieht es nicht aus.“
Große Lücken bei der Aufklärung der Putschnacht
Die juristische Aufarbeitung hat die vielen Fragen zu den Hintergründen des Putschversuchs nicht aus der Welt geschafft, erinnert Hürriyet Daily News:
„Trotz Dutzender Prozesse, die nach dem Putschversuch eröffnet wurden, gibt es immer noch Punkte, die ungeklärt bleiben und aufgeklärt werden müssen. Wie war es möglich, dass die Putschisten einen so großflächigen Aufstand organisieren konnten, ohne vom Nationalen Geheimdienst, von der militärischen Spionageabwehr und vom polizeilichen Nachrichtendienst entdeckt zu werden? Dass die Aufständischen all diese Geheimdienste infiltrieren konnten, ist keine ausreichende Erklärung.“