Macron gibt dem Druck der Gelbwesten nach
Nach einem Krisentreffen von Präsident Macron und der Regierung ist die Steuererhöhung auf Kraftstoffe vorerst vom Tisch. Premier Philippe sagte am Dienstag, man wolle die "Einheit des Vaterlands" nicht gefährden. Die Gelbwesten kündigten jedoch an, am kommenden Wochenende erneut auf die Straßen zu gehen. Was bringen die Zugeständnisse der Regierung?
Die Büchse der Pandora ist geöffnet
Die Aufschiebung der Steuererhöhung wird die Protestler nicht beruhigen, schätzt Libération:
„Vor zehn Tagen hätten die angekündigten Maßnahmen die Proteste beendet. Aber soziale Bewegungen verändern diejenigen, die daran teilnehmen. Sie waren vorher oft allein in ihrem schwierigen Alltag, gefangen in einem Gefühl von Scham und Verlassenheit. Jetzt erleben die Gelbwesten die Sogkraft einer kollektiven Aktion, Aufmunterung durch Solidarität und gegenseitige Anerkennung, das seltene Vergnügen massiver medialer Aufmerksamkeit sowie den Stolz, endlich eine politische Rolle zu spielen. Es ist schwer, diesen schönen Moment zu beenden, denn was auch immer passiert, er wird eine ihrer besten Erinnerungen bleiben. ... Die hochnäsige Leichtfertigkeit der Regierenden hat die Büchse der Pandora geöffnet.“
Die Geister, die der Präsident rief
Die Regierung hat erkannt, dass der französischen Gesellschaft eine tiefe Spaltung droht, meint Wedomosti:
„Macron und sein Umfeld wurden Opfer jener anti-elitären Welle, auf der sie bei den Präsidenten- und Parlamentswahlen 2017 selbst ritten. Doch jetzt wollen die Wähler nicht den Preis für die Reformen zahlen, auf denen der Präsident besteht ... Steuererhöhungen 'für alle', kurz nachdem die Steuer auf Spitzeneinkommen abgeschafft wurde, haben das Gerechtigkeitsgefühl empfindlich verletzt. Letztlich ist der Protest der Gelbwesten einer der ärmlicheren Provinz und der unteren Mittelschicht, für die das Auto so wichtig ist, gegen die Reichen aus den Großstädten. Mit Verspätung hat nun die Staatsmacht auf die Protestierenden gehört und erklärt, dass keine Steuer die nationale Einheit gefährden dürfe.“
Jetzt nicht einknicken
Der Präsident muss seinen Reformkurs weiterfahren, appelliert The Irish Times:
„Emmanuel Macron kann politisch nur dann überleben, wenn er trotz der Widerstände an seiner Strategie festhält und nicht wie seine Vorgänger François Hollande und Nicolas Sarkozy dem Druck des typische französischen Protests gegen Veränderung nachgibt. ... Er kann bei einzelnen Steuern Zugeständnisse machen, um soziale Ungerechtigkeiten auszugleichen. Und er kann immer noch auf seine bemerkenswerte Redegewandtheit zurückgreifen, die er während seiner gesamten politischen Karriere bewiesen hat. Doch er kann es sich nicht leisten, die grundsätzliche Richtung seiner Reformstrategie zu ändern. Dazu zählt sein Bekenntnis, Frankreich eine führende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel zu geben, indem Kraftstoffe besteuert werden.“
Frankreichs Krise ist die Faulheit
Für den Wirtschaftswissenschaftler Hector Allain sind die Franzosen selbst schuld an den hohen Kraftstoffpreisen, wie er in Contrepoints schreibt:
„Die aktuelle Krise ist vor allem einer veralteten Denke geschuldet. Deswegen besteht auch das Risiko, dass sie länger andauern wird. Welcher Politiker wird es wagen, das auszusprechen? Man schafft keinen Reichtum - und entsprechend keine Kaufkraft -, indem man im Fernsehen Fußball guckt. Frankreichs Krise ist die Faulheit. 64 Prozent der Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren gehen in unserem Land arbeiten. In der Schweiz sind es 79 Prozent, in Großbritannien und Deutschland 75. ... Ganz konkret gesagt: Bei uns kosten Sprit und Lebensmittel mehr, weil wir um diese Güter in Konkurrenz stehen mit Ländern, die mehr arbeiten als wir.“