Russisches Schulbuch nicht patriotisch genug?
Ein in Russland seit mehr als 20 Jahren benutztes Wirtschaftslehrbuch für 10. und 11. Klassen wird den Schulen vom Bildungsministerium nun nicht mehr empfohlen. Der Autor erhielt die Aufforderung, sein Werk patriotischer zu gestalten: Kritik an Regierungsentscheidungen sei fehl am Platz und es gelte, die aktuelle Wirtschaftspolitik zu würdigen. Für Kommentatoren greift der Staat in Dinge ein, die ihn nichts angehen.
In bester sowjetischer Tradition
Ideologie hat in keiner Wissenschaft etwas zu suchen, auch nicht in der Wirtschaftswissenschaft, findet Wedomosti:
„Ein Wirtschaftslehrbuch des unzureichenden Patriotismus zu beschuldigen, das ist eine neue Kategorie: Bisher waren mit derartigen Problemen allenfalls Autoren von Geschichtslehrbüchern konfrontiert. Patriotismus wird in diesen Fällen in bester sowjetischer Tradition betrachtet: als Befürwortung der aktuellen Politik der Staatsführung. Doch das sind definitiv nicht die Traditionen, die eine moderne russische Schule erben sollte. Man sollte sich im Klaren sein: Wirtschaft ist eine Wissenschaft und Ideologisierung ist für sie tödlich. ... In der Schule sollten die Grundlagen für ökonomisches Denken und Analysieren gelegt werden und diese dürfen nicht ideologisch eingefärbt sein.“
Kleine Beamte auf Koryphäen-Jagd
Kleingeistige Einzelinteressen macht der Historiker Leonid Mlechin auf Echo Moskwy im Handeln der Behörden aus:
„Hinter jeder ideologischen Kampagne stecken immer auch persönliche und strukturelle Interessen. Beamte sind unermüdlich darin, Abweichungen zu finden, alles, was nicht der Generallinie entspricht. Denn davon leben sie! Und das nicht schlecht, das ist anders, als im Bergwerk Kohlen zu schlagen. Hier öffnen sich unglaubliche Karriereperspektiven für Leute mit schlechten Abschlüssen. Man beschuldigt einen Lehrstuhlinhaber oder Wissenschaftler von Weltrang der fehlenden Vaterlandsliebe - und nimmt seinen Posten ein. Man findet mangelnde Heimatliebe in einem Lehrbuch - und drückt sein eigenes durch.“