Was macht die TV-Serie Chernobyl so erfolgreich?
Die Fernsehserie Chernobyl, die die Reaktorkatastrophe vom 26. April 1986 in fünf Folgen nachzeichnet, erlebt derzeit große Resonanz in sozialen Netzwerken und klassischen Medien. Zuschauer wählten sie auf der Film- und Serienseite IMDb zur besten Serie aller Zeiten. Kommentatoren haben mitgeschaut und erklären, was sie am meisten beeindruckt hat.
Die Helden, die Europa retteten
Endlich werden die Helden der Tragödie gewürdigt, lobt Gazeta Polska Codziennie:
„Unerwartet, aber zu Recht, ist die US-amerikanisch-britische Serie Chernobyl zu einem weltweiten Hit geworden. Sie erinnert an die bereits vergessene Tragödie von Tschernobyl im Jahr 1986. Die meisten der Helden, die im Reaktor blieben, wurden nie richtig gewürdigt. Viele vegetieren heute vor sich hin und erhalten Hungerpensionen. Die Serie erzählt, wie das System der UdSSR aussah. Zugleich huldigt sie den Liquidatoren, die auch als 'Bioroboter' bekannt sind [und als Arbeiter den strahlenden Schutt entfernen mussten]. Viele von ihnen bezahlten den höchsten Preis. ... Ihr Opfer rettete uns vor einer noch größeren Tragödie, die weit über die damals betroffenen Gebiete (im heutigen Belarus, in der Ukraine und in Russland) hinausgehen würde. Sie haben ganz Europa gerettet.“
Der Sowjetmensch wird rehabilitiert
Nowaja Gazeta gefällt an der Serie, dass sie zeigt, wie das Menschliche im Sowjetsystem trotz aller Widrigkeiten überlebt hat:
„Die Sowjetideologie ging davon aus, dass die menschliche Natur formbar ist und ein 'neuer kommunistischer Mensch' erzogen werden kann, wenn man nur seine Lebensbedingungen ändert. Chernobyl zeigt eine andere Version: 'Die Erbauer des Kommunismus' bleiben menschlich nicht dank, sondern trotz des Systems, in dem sie existieren. Planwirtschaft und Parteizensur haben die schlechtesten Seiten der Menschen befördert: systematische Lüge, Doppeldenk [Begriff aus George Orwells Roman 1984] und Kriecherei vor Vorgesetzten - all das ist klar in der Serie dargestellt. Globale Folgen der Tschernobyl-Katastrophe gelang es nur zu verhindern, weil die von der sozialen Stellung unabhängigen, allen Menschen eigenen Vorstellungen von Pflicht, Empathie und Ehre dennoch existierten.“
Auch heutige Katastrophe wird kleingeredet
In der Serie existieren Parallelen zu heute, beschreibt Umweltschützer Pawlo Wischebaba auf dem Onlineportal Apostroph:
„Der Klimawandel zerstört Menschenleben und Lebensraum, verursacht das Aussterben von Arten - ja, er bedroht alle Lebewesen. All dies geschieht in einer Atmosphäre, die der der sowjetischen Gesellschaft zum Zeitpunkt des Unfalls von Tschernobyl sehr ähnlich ist. Wissenschaftler schlagen Alarm, die Regierung sagt, man habe alles unter Kontrolle, viele verstehen das Ausmaß der Katastrophe nicht. ... Chernobyl ist wichtig als gefilmte Chronik. ... Doch die Serie erinnert nicht nur an die Opfer dieser schrecklichen Tragödie. Sie hat in mir auch die Hoffnung geweckt, dass 'die Lebenden und Ungeborenen' die Wahrheit verkünden und nicht zulassen, dass das schlimmste Szenario wahr wird - die Vernichtung alles Lebens auf unserem Planeten.“
Serie lässt alten Streit wieder aufbrechen
In Bulgarien gibt es sehr unterschiedliche Reaktionen, beobachtet Dnevnik:
„Es hat sich herausgestellt, dass es in Bulgarien überraschend viele Zweifler gibt, die die Havarie geradezu für Propaganda halten. Wahrscheinlich glauben sie auch, dass die Erde flach ist. Sie haben nun leider die anderen auf den Plan gerufen, die sich in der Pflicht fühlen, immer wieder zu erklären, was in Tschernobyl wirklich passiert ist. Und so brach zum wiederholten Mal der Streit zwischen Ostalgikern und Realisten aus. Ein Streit, der erst dann aufhört, wenn unsere Gesellschaft endlich anfängt, ihre Vergangenheit ohne Emotionen und mit der notwendigen Distanz zu betrachten.“